Op.
7 Kullervo, Symphonie für Mezzosopran, Bariton, Männerchor
und Orchester. 1. Einleitung (Johdanto), 2. Kullervos
Jugend (Kullervon nuoruus), 3. Kullervo und seine Schwester
(Kullervo ja hänen sisarensa), 4. Kullervo zieht in den Kampf
(Kullervon sotaanlähtö), 5. Kullervos Tod (Kullervon
kuolema). Text aus dem Kalevala (Kalevala). Vollendet 1892,
Erstaufführung am 28. April 1892 in Helsinki (Emmy Achté und
Abraham Ojanperä, Orchester des Orchestervereins Helsinki,
Dirigent Jean Sibelius). „Largamente“ aus Satz III, Fassung für
Bariton und Klavier Kullervos Wehruf / Kullervos Klage (Kullervon
valitus)
1893, revidierte Fassung 1917–1918. Neue Instrumentation für
Bariton und Orchester Kullervos Wehruf / Kullervos Klage (Kullervon
valitus)
1957. Erstaufführung am 14. Juni 1957 in Helsinki (Kim Borg und
das Rundfunkorchester, Dirigent Jussi Jalas).
Jean
Sibelius begann das Komponieren von Kullervo
im Frühling 1891 in seiner Studentenbude in Wien, Ecke Wiedner
Hauptstraße 36 und heutige Waaggasse 1.
Er
studierte unter Aufsicht von Robert Fuchs und Carl Goldmark, die
aber von seinen ersten Versuchen, ein Orchesterwerk zu komponieren,
nicht gerade begeistert waren. Nach Goldmark war der erste Versuch
schlecht orchestriert. Nach Fuchs waren auch die nächsten
Versuche „barbarisch und roh“. Sibelius’ finnisches Blut
brauste auf: „Dann bin ich eben ein Barbar!“
Sibelius
vertiefte sich ins Kalevala
(Kalevala) und fand darin spannende Rhythmen und reizvolle
Variation der Themen – Materialien für eine neue Art von Musik.
Zu dem Gedicht Drömmen
von Runeberg entstand „ein
neues und finnisches Lied“,
wie Sibelius schrieb.
„Die klangvolle, seltsam schwermütige Monotonie, die in allen
finnischen Melodien zu finden ist“ wäre jetzt sein Stil.
Im
zweiten Stockwerk der Waaggasse 1 verbrannte Sibelius am 3.
Februar 1891 Entwürfe, die ihm zu „deutsch“ schienen und „lachte
ein ironisches Lachen“ dazu. Er arbeitete an einer neuen
Symphonie und komponierte noch Anfang April am Finale, das „mit
einem Rezitativ anfängt, das eigentlich ein Aufstieg zum letzten
Satz ist, Variationen von einem finnisch eingestimmten Thema sehr
frei bearbeitet“. Dann im April hörte er unter Richters Leitung
die Symphonie Nr. 9 von Beethoven und fühlte sich „so klein, so
klein“. Er ließ die Symphonie liegen.
Sibelius
resignierte dennoch nicht. Er machte sich an eine neue Symphonie
– wie er sein Werk anfangs und oft auch später nannte. Das
Thema fand er in der Kullervo-Sage des Kalevalas
(Kalevala), in der ein junger Mann eine Frau verführt, ohne zu
wissen, dass sie seine verschollene Schwester ist. Am Ende begehen
beide Selbstmord.
In
einem Brief an Aino erzählte er, mindestens 50 Themenversuche
verworfen zu haben. Offensichtlich nahm er die Wörter seines
Lehrers Goldmark über das Schmieden der Themen ernst. Schließlich
entstand ein Thema, das Sibelius zufrieden stellte. Eine Urform
des Hauptthemas des ersten Satzes von Kullervo
war
entstanden.
Das Thema ist in Jannes Brief an Aino vom 18. April zu finden,
allerdings noch in F-Dur.
„Ich
versuche Klarheit für meine Symphonie zu schaffen. Sie
unterscheidet sich so viel von allem, was ich bis jetzt komponiert
habe“, schrieb Sibelius als Einleitung für das kleine Thema.
Sechs Tage später schrieb Sibelius Aino, dass Fuchs das neue Kullervo-Thema
begeistert gelobt hätte.
Sibelius
arbeitete lange an dem ersten Satz, allem Anschein nach noch, als
er für den Sommer 1891 aus Wien nach Finnland zurückkehrte und
sich für den Herbst nach Loviisa begab, um zu komponieren. Zu
Jahresende machte Sibelius sich in Porvoo mit den Runen der Runensängerin
Larin Paraske bekannt. Yrjö Hirn hat sich an das Treffen erinnert:
„Ich
war mit Jean Sibelius auf dem Weg von Loviisa über Porvoo nach Hämeenlinna.
Mein fünf Jahre älterer Reisebegleiter entwickelte zu der Zeit
Pläne, aus denen die Tondichtung Kullervo
entstand, die im folgenden Jahr vollendet und aufgeführt wurde.
Er war sehr interessiert zu hören, wie sich eine karelische Rune,
gesungen von einer echten Runensängerin, anhört, und ich war natürlich
froh, dass ich dieses Treffen des Neuen und Alten bezeugen durfte.
Ich wage mich nicht dazu zu äußern, wie viel es Sibelius’ Kalevala-Kompositionen
beeinflusst hat, dass er damals Paraske hören durfte. Ich kann
mich nur erinnern, dass er dem Singen sehr aufmerksam zuhörte und
Tonfolge und Rhythmen aufschrieb.“
Sibelius
behauptete in seinen alten Tagen seinem Schwiegersohn Jussi
Snellman gegenüber, skeptischer gewesen zu sein.
„Kullervo
war im Sommer und Herbst 1891 komponiert worden. Als es fertig war,
fuhr ich mit Hirn nach Porvoo, um Paraske zu hören. Es gab noch
keinen Schnee, aber es war schon sehr kalt. Ich hatte keine Ahnung
davon, was für eine Berühmtheit ich vor mir hatte. Als sie sang,
fiel mir in erster Linie auf, wie so eine ‚Runensängerin’ mit
der finnischen Sprache umging: 'murehiaa-aa-aa', 'musta
lintuu-uu-uu', also besonders dehnte und betonte sie die letzten
Silben der Wörter. In meinen Ohren klang jene Akzentuierung von
Paraske sehr seltsam und ich hatte auch keine Ahnung, mit was für
einer großen Expertin ich zu tun hatte, denn ich wusste nicht,
dass sie eine so erstklassige Runensängerin war. In Kullervo
hatte ich die natürliche Akzentuierung der Silben benutzt. Dann
später habe ich in den Kalevala-metrischen Gedichten, zum
Beispiel in der Kahnfahrt (Väinämöisen venematka) die
Praxis von Paraske befolgt.“
Sibelius
hatte nicht recht mit der Behauptung, dass Kullervo
schon vor dem Treffen mit Larin Paraske vollendet war.
Er kehrte für Weihnachten nach Loviisa zurück, arbeitete immer
noch an Kullervo
und komponierte einen Entwurf des Themas für den zweiten Satz,
den er am 29. Dezember einem schönen Liebesbrief an Aino beifügte.
Die
Kompositionsarbeit ging ab Ende Januar im Kurbad in Kaivopuisto
weiter. Anfang März fasste Sibelius den Entschluss, dass der Chor
ein Männerchor sein sollte. Er vermutete, dass die Sängerinnen
sich vielleicht vor dem mit Musik wiedergegebenen Geschlechtsakt
im dritten Satz geniert hätten. „Du, meine Liebe, verstehst das
schon“, schrieb Sibelius an seine Verlobte.
Die
Proben fingen Anfang April an. Juho Ranta, der im Chor sang,
erinnerte sich 1933 an die Ereignisse.
„Wir
hatten gar nicht so viele Gesamtproben. Ich kann mich nur erinnern,
dass die „offizielle“ Sprache Deutsch war, weil die meisten
Musiker ja Ausländer waren. Ich konnte nur ein bisschen Deutsch
und war stolz, dass ich nachdem ich 'Bitte, noch einmal vom
Buchstab X', hörte, meinen Kameraden, die nur ihre eigene Sprache
beherrschten, erklären konnte, dass wir jetzt von der einen oder
anderen Stelle anfangen sollten.“
Die
Solistin Emmy Achté schrieb später an ihre Tochter, dass die
Situation in den Orchesterproben peinlich gewesen wäre: „Ich
werde nie die erste Orchesterprobe vergessen, wo die
Orchestermitglieder nach meinem ersten Rezitativ in unbeherrschtes
Lachen ausbrachen.“
Am
28. April war die Uraufführung, Solisten waren Emmy Achté und
Abraham Ojanperä. Die Hände des Komponisten zitterten und er sah
blass aus, aber die Energie der Aufführung riss dennoch sowohl
den Komponisten als auch einen Teil des Publikums mit sich. „Es
war wie ein Vulkanausbruch“, erinnerte sich Axel Törnudd.
„Die meisten hielten es für ein totales Chaos.“
Erst,
als Robert Kajanus Sibelius einen Kranz brachte, nahm der Applaus
zu. Das hielt zum Beispiel den Kolumnisten Leonard Salin (Pseudonym:
Boulot) nicht davon ab, in „Hufvudstadsbladet“ zu spotten, überhaupt
nicht verstanden zu haben, wann das Stimmen der Instrumente aufgehört
und die eigentliche Musik begonnen hätte.
Die
Ursachen für dieses Verspotten lagen auch in der Sprachenpolitik
Finnlands. Für die Fennomanen (Anhänger der finnischen Sprache
und Kultur) war klar, dass Sibelius jetzt in ihren Dienst getreten
war und die Svekomanen (Anhänger der schwedischen Sprache und
schwedischsprachigen Kultur in Finnland) waren von Sibelius,
dessen Muttersprache ja Schwedisch war, enttäuscht.
Der
finnischsprachige Oskar Merikanto schrieb am 29. April in der
Tageszeitung „Päivälehti“, dass das Werk ihn verwirren würde,
gab aber zu, dass „Sibelius mit diesem Werk einen großen
Schritt vorwärts gemacht hat und gleichzeitig die finnische Kunst
in die Richtung einer vielversprechenden Zukunft gebracht hat
(…) die Komposition im Ganzen ist gerade mit dem finnischen
Inhalt das einflussreichste und großartigste Werk, das je ein
Finne komponiert hat“.
Der
schwedischsprachige Kritiker Karl Flodin lobte das Werk mit
Vorbehalt: „Jean Sibelius hat seinen eigenen Ton, es ist ein
Geschenk von guten Geistern und mittels dieser Begabung komponiert
er seine eigene, unsere eigene Musik“, schrieb Flodin. Seiner
Meinung nach hatten die Modulationen, Rhythmen und Melodien ihren
Ursprung in finnischen Volksliedern. Flodin kündigte auch an,
dass Kullervo
das Ende
dieses Weges wäre.
„Wenn Sibelius eine neue symphonische Dichtung komponieren möchte,
beispielsweise ein Lemminkäinen-Tableau, müsste er schon
einen vollkommen neuen Blickwinkel finden, um zu vermeiden, dass
er das wiederholt, was er schon einmal umfassend in Kullervo
gesagt
hat.“
Die
Einleitung (Allegro moderato) des Werkes fängt mit Unheil verkündendem
Gedröhn an, auf welches die Klarinette und die Waldhörner eine
Art Schicksalsthema spielen.
Die
Streichinstrumente übernehmen das Thema und die Stimmung ändert
sich für einen Augenblick und wird hell. Das Waldhorn erinnert
dennoch im Seitenthema an die Unumgänglichkeit des Schicksals.
Sibelius macht jetzt schon Gebrauch vom Tritonus wie später auch
in der Symphonie Nr. 4.
Die
Einleitung geht in Sonatenform weiter. In der Entwicklungsphase
kann man Hinweise auf den finnischen Runengesang sowie auf
Bruckner hören. Wenn das Hauptthema endlich zurückkehrt,
erscheint dessen Kraft in Blech- und Holzblasinstrumenten verblüffend.
Die in der Entwicklung vorgekommene, hellere E-Dur-Stimmung
erweist sich als vorläufig.
Oskar
Merikanto beklagte, dass die Einleitung fragmentarisch wäre, aber
stellte auch fest, dass der Fortschritt im Vergleich zu Ouvertüre
in E-Dur (E-duuri alkusoitto) und Balletszene (Balettikohtaus)
schon erstaunlich wäre.
Robert Layton stellt fest, dass Sibelius in diesem Satz zeigt,
dass er über ein außergewöhnliches symphonisches Talent verfügt.
„Wie der Komponist selbst geschrieben hatte, ging er nicht in
Einzelheiten, sondern malte mit breiten Zügen den dunklen,
schicksalhaften Hintergrund des Kullervo-Dramas“, stellte
Erkki Salmenhaara fest.
Die
erste Seite des Kullervo-Manuskripts
Der
zweite Satz, Kullervos Jugend (Kullervon nuoruus), ist das
heilste und haltbarste Meisterstück des Werkes, obgleich dessen
dramaturgische Stellung im Werk eigentümlich ist. Der Satz ist
wie eine zweite „Einleitung“ für das Drama. Die
Streichinstrumente spielen zuerst „ein Wiegenliedthema“,
dessen beruhigender Rhythmus später kämpferisch wird:
Die
erste Seite des zweiten Satzes von Kullervo
Erik
Tawaststjerna hat die Struktur des Satzes mit der Formel
A-B-A'-B'-A'' beschrieben. Erkki Salmenhaara dagegen unterscheidet
drei Themenelemente: neben dem Wiegenliedthema noch das
Runengesangthema und das Thema der Hirtenszene. Er analysiert die
Gesamtstruktur mit Hilfe dieser drei Themen.
Sibelius
variiert seine Themen rhythmisch und melodisch, wie die Runensänger,
und kombiniert deren Materialien, was verursacht, dass die
Analysen geringfügig voneinander abweichen. Tawaststjerna sieht
in dem Satz schon einen Vorgeschmack des Werkes Die Okeaniden
(Aallottaret). Salmenhaara findet, dass eine Stelle erstaunliche
Ähnlichkeit mit der ein paar Jahrzehnte später komponierten Frühlingsweihe
(Le sacre du printemps, Kevätuhri) von Strawinski hat, und Robert
Layton seinerseits betont die Tschaikowski-Einflüsse des Satzes.
Vielleicht
hat Sibelius selbst jedoch den Satz am besten geschildert, als er
ihn ein Wiegenlied nannte, das „durch Variieren zum Aufstieg
gebracht wird“. Jener Aufstieg ist gewaltsam und heftig. Von der
Wiegenliedstimmung ist keine Spur mehr übrig.
Erst
im dritten Satz, über eine halbe Stunde nach dem Anfang des
Werkes, kommen der Männerchor und die Solisten an die Reihe. Die
Taktart des Satzes Kullervo und seine Schwester (Kullervo
ja hänen sisarensa) ist die urfinnische 5/4. Das Orchester
schafft die Stimmung und der Männerchor beginnt schließlich die
Geschichte:
„Kullerwo,
Kalerwos Sohn, der blaustrumpfige Teufel…“
(„Kullervo,
Kalervon poika/ sinisukka äijön lapsi…“)
Die archaische Stimmung wird dadurch betont, dass der Komponist
beinahe den ganzen Anteil des Männerchors in unisono geschrieben
hat.
Auszug
aus der Partitur des dritten Satzes von Kullervo
Der
Text, die Kullervo-Geschichte aus dem Kalevala, erzählt das Wesentliche: Kullervo überredet eine junge
Frau in seinen Schlitten zu kommen, verspricht ihr Reichtum und
verführt sie. Das Schäferstündchen wird mit orchestralen
Mitteln dargestellt. Es endet mit einem gewaltsamen Ausbruch,
indem die Schlittenstimmung zurückkehrt und dann die Solisten an
der Reihe sind. Sibelius behandelt die finnische Sprache souverän.
An der Stelle „Reki rasasi” werden die Silben nicht
sprachwidrig gedehnt, wie es Komponisten früher in Finnland zu
tun pflegten.
Danach
werden die Folgeerscheinungen des Aktes vorgestellt. Es stellt
sich heraus, dass Kullervo unwissentlich seine verschollene
Schwester verführt hat. Ein meisterhaft komponiertes Klagelied
der Schwester folgt und zum Schluss noch der äußerst dramatische
Kullervos Wehruf (Kullervon valitus). Man möchte glauben,
dass das Werk hier endet.
Aber
nein: Es folgt noch der überraschende vierte Satz, Kullervo
zieht in den Kampf (Kullervon sotaanlähtö) (Alla
marcia).
Die Heiterkeit und der Heroismus des Satzes sind wie aus einer
anderen Welt, obwohl die Pikkolotriller gleich am Anfang auch kämpferisch
klingen.
Die
erste Seite des Manuskripts des vierten Satzes von Kullervo
Sibelius
hat die Stimmung des Kalevala-Verses „Lief fort in den Krieg,
er zog frohlockend ins Gefecht“ („Läksi soitellen
sotahan, ilotellen tappelohon“) in diesem frei behandelten
Rondo-Satz wortwörtlich genommen. Die karelischen und russischen
Töne scheinen nach Aussage von Tawaststjerna und Salmenhaara
sogar Petrushka
von Strawinski anzukündigen.
Der
fünfte Satz Kullervos Tod (Kullervon
kuolema) (Andante) bringt den Männerchor zurück.
Das musikalische Material stammt zum großen Teil aus der
Einleitung, aus dessen Repriseabschnitt. Der Kreis scheint sich zu
schließen, wenn das schicksalhafte Hauptthema zurückkehrt.
Die
erste Seite des Manuskripts des fünften Satzes von Kullervo
Vom
Schlachtfeld zurückgekehrt sucht Kullervo den Platz auf, wo er
seine Schwester geschändet hatte. Der Chor erzählt von dem
Dialog zwischen dem Schwert und Kullervo, als ob er die Verwüstung
zum Vorschein bringen wollte: „Er fragte das Schwert nach
seiner Meinung, ob es Lust habe, schuldiges Fleisch zu fressen,
frevlerisches Blut zu saufen.“ („Kysyi
mieltä miekaltansa, tokko tuon tekisi mieli syöä syyllistä
lihoa, viallista verta juoa.“) Das
Schwert antwortet: „Warum
sollte ich nicht bereit sein, schuldiges Fleisch zu fressen,
frevlerisches Blut zu saufen?“
(„Miks'
en söisi mielelläni, söisi syyllistä lihoa, viallista verta
joisi?“)
„Ich
fress ja auch unschuldiges Fleisch, sauf unschuldiges Blut.“
(„Syön
lihoa syyttömänki, juon verta viattomanki.“)
Die
Stimme des Chors ist laut geworden und klingt schon fast wie ein
rohes Schreien. Aber noch kommt das letzte, hastige crescendo, während
dessen der Held sich in das Schwert stürzt. Der Schlusssatz des
Chors ist lakonisch: „Das
war des Jünglings Ende, des Helden Kullerwo Tod, das Ende
wenigstens war heldenhaft, des Hartgeprüften Tod.“
(„Se
oli surma nuoren miehen, kuolo Kullervo urohon, loppu ainakin
urosta, kuolema kovaosaista.“)
Auszug
aus dem letzten Satz von Kullervo
Was
war die Reaktion der Zeitgenossen? Oskar Merikanto schrieb: „Und
wenn das Orchester stürmisch tobt, Missklänge liebkosend und
endlich mit einem energischen Akkord verstummt, dann fühlt man
sich irgendwie erleichtert, jetzt ist es geschehen. Aber der Chor
ist noch nicht verstummt: er erzählt, was passierte und erzählt
es auf eine schauderhafte Weise.“
In
die letzten Takte lädt Sibelius die ganze brutale Wut des jungen
Mannes.
Die
letzte Seite des Manuskripts von Kullervo
Sibelius
dirigierte das Werk nur einige Male. Die letzten Aufführungen
waren 1893, als die Kritiker das Werk überraschend in Grund und
Boden verhöhnten. Sogar Merikanto hielt jetzt die
Orchesteranteile für langweilig.
Der
erschütterte Komponist dirigierte das Werk nie wieder und ließ
in seiner Lebenszeit auch keinen anderen es in seiner Gänze
dirigieren. Anfangs konnte das Nicht-Aufführen allerdings mit der
verschollenen Partitur zusammenhängen. Als Sibelius seine
Partitur zurückbekam, war er schon aus dem Stil des Werkes
hinausgewachsen. „Kullervo
war eine Schatzkammer“, sagte er in seinen alten Tagen, aber
hielt die Kammer schon längst für entrümpelt.
Heute
kann die Komposition aber auch aus einem anderen Blickwinkel
gesehen werden. Kompositionstechnische Plumpheiten haben sich in
den Händen von Spitzendirigenten unserer Zeit in spannende
Rauheiten verwandelt. Anfang der 1990er Jahre wurde ein richtiger
Strom der Kullervo-Aufnahmen erlebt, und am Anfang des 21.
Jahrhunderts ist das Werk immer noch einer der Exporttrümpfe der
finnischen Orchester.
Kullervo
ist ein überfressenes,
gespensterhaftes Meisterwerk.
Es ist der King Kong der Orchesterliteratur, dessen Brutalität
und Massivität Angst und Respekt hervorrufen, aber dessen Herz
dennoch letzten Endes romantisch ist.
Die
Vollendung von Kullervo
ließ Sibelius nur einen Weg offen:
in Richtung größerer Konzentration und konsequenterer und
symphonischerer Form. Der Kritiker Karl Flodin hatte recht. Kullervo
war kein Anfang
eines Weges, sondern dessen Ende.
Sibelius schuf nie wieder etwas so frech Megalomanisches.