Jean
Sibelius komponierte während seiner ganzen aktiven
Komponistenkarriere Bühnenmusik. Diese Entwicklung fing mit dem
Werk Der Neck (Näcken)
an, das er zusammen mit seinem Lehrer Martin Wegelius komponierte
und endete 1925 mit der Musik zu dem Theaterstück Der Sturm (Myrsky, Stormen) und mit den 1927 daraus ausgearbeiteten
Orchestersuiten. Er nannte die für das Theater komponierte Musik
„seine alte Sünde“, wollte aber „das liebe Laster“ nicht
aufgeben.
An
Bühnenmusik gibt es nur eine Oper, die eine gute halbe Stunde
dauernde Jungfrau im Turm (Neito tornissa), mit der der Komponist selbst
unzufrieden war. In den 1890er Jahren komponierte Sibelius zwei
patriotische Werke zu historischen Tableaux, Karelia-Musik
und Musik zu den
Pressefeiern
(Musiikkia Sanomalehdistön päivien juhlanäytäntöön), die
Sibelius zu Finlandia
und Orchestersuite Scènes
historiques I (Historiallisia kuvia I) umarbeitete.
Zu
eigentlichen Schauspielen komponierte Sibelius ab dem Jahr 1898
Musik, als er die Bühnenmusik zum Text König
Kristian II (Kuningas Kristian II) seines Freundes Adolf Paul
vollendete. Sibelius komponierte schon damals aus den besten
Teilen der Bühnenmusik auch eine Orchestersuite, die er gern in
seinen Konzerten aufführte.
Anfang
des 20. Jahrhunderts komponierte Sibelius die Musik zum Schauspiel
seines Freundes Arvid Järnefelt, Der
Tod (Kuolema). Die heranreifenden Werke Valse
triste
und Szene mit Kranichen
(Kurkikohtaus) waren Teile der Musik zu diesem Schauspiel. Spätestens
dieses Werk veranlasste die Theater in Helsinki, Sibelius um Bühnenmusik
auch zu ausländischen Texten oder zu Plagiaten ausländischer
Texte zu bitten: Sibelius komponierte in den nächsten Jahren
Musik zu Texten wie Pelléas
und Mélisande und Besazar’s
Gastmahl (Belsazarin pidot) und zu Schwanenweiß
(Joutsikki). Scaramouche
war ein Anfang in Richtung der Pantomime, und die Musik zu Jedermann
(Jokamies) komponierte Sibelius wie die späteren Filmkomponisten:
Ziel war es, dass die Musik mit den Ereignissen auf der Bühne
sekundengenau zusammenpasste. Der Sturm (Myrsky, Stormen) schloss die Bühnenmusikperiode ab und
war auch die Kulmination derselben.
Die
Musikwissenschaftlerin Eija Kurki hat in ihrer Doktorarbeit darauf
aufmerksam gemacht, dass Sibelius zu solchen Schauspielen Musik
komponierte, die vom Symbolismus stark beeinflusst waren und es
scheint, dass es auch in vielen seiner Bühnenmusikkompositionen
symbolistische Züge gibt.
Sibelius
kann dennoch nicht (nur) für einen Symbolisten gehalten werden,
aber es ist sicher, dass diese Kunstrichtung auch auf ihn Einfluss
hatte. Es ist auch interessant, dass die Freimaurer, die auf ihre
eigene Weise Symbole benutzten, in den 1920er Jahren Sibelius als
Mitglied gewinnen konnten. „Je älter ich werde, desto klarer
sehe ich, dass eigentlich alles Symbol ist“, sagte Sibelius
seinem Sekretär. „Wer Symbole interpretieren kann, versteht
Geheimnisse des Weltalls.“ Sibelius stellte auch fest, dass die
Symbole einen weiter bringen als die Vernunft und dass das
Freimaurertum ihm gerade deshalb so viel gegeben hätte.
Musikalisch
machen die Bühnenmusikwerke unsere Auffassung von Sibelius als
Komponist vielfältiger. Er machte sonst nie so deutlich Gebrauch
von Orientalistik, wie in Belsazar’s
Gastmahl (Belsazarin pidot). Sibelius hätte ohne Bühnenaufträge
viele entzückende Bagatellen oder beliebte Walzer, angefangen von
Valse
triste,
gar nicht komponiert. Wegen der Ansprüche der Bühne gibt es
jetzt Werke, die er total anders orchestriert hat wie er es sonst
zu tun pflegte: zum Beispiel Jedermann
(Jokamies) ist für Holzblasinstrumente, für zwei Waldhörner und
zwei Trompeten, für Pauken, Klavier, Orgel, für
Streichinstrumente und gemischten Chor geschrieben. Das brachte
natürlich neue Farbe in die Orchester.
Und
zum Schluss soll man für die Aufträge für Bühnenmusik dankbar
sein, weil Sibelius durch sie einen Höhepunkt seiner Karriere
errang, die originale Musik zu dem Schauspiel Der
Sturm (Stormen, Myrsky) – noch kurz vor der Stille in Ainola
geschaffen. Ohne den Auftrag hätte die Selbstkritik vielleicht
schon ein oder zwei Jahre früher seinem Schaffensdrang auf
tragische Weise ein Ende gesetzt.