Nr. 1 Cantique (Laetare anima mea). Vollendet 1914, Erstaufführung am 30. März 1916 in Helsinki (Ossian Fohström, Violoncello, Städtisches Orchester Helsinki, Dirigent Jean Sibelius). Fassung für Violine oder Violoncello und Klavier 1915.
Nr. 2 Devotion (Ab imo pectore) Vollendet 1915, Erstaufführung am 30. März 1916 in Helsinki (Ossian Fohström, Violoncello, Städtisches Orchester Helsinki, Dirigent Jean Sibelius). Fassung für Violine oder Violoncello und Klavier 1915.
„Zwei ernste Melodien“ des op. 77 sind sehr interessante Musik von Sibelius. Cantique (Laetare anima mea) wurde am 1. Dezember 1914 vollendet. Frühe Vorschläge für Titel der Komposition waren auch „Lovsång“(Lobgesang) und „Lauda Sion“.
Den Ernst der Stimmungen von Sibelius kann man gut verstehen. Im Sommer 1914 war er in den Vereinigten Staaten sehr gut angekommen, als er seine Musik bei den Norfolk Musikfestspielen dirigierte. Er kam zurück und träumte vom Dollarsegen, aber wurde bitter enttäuscht, als der erste Weltkrieg einen fertiggeplanten erneuten USA-Besuch verhinderte. Bald war auch der deutsche Verleger in Schwierigkeiten, Sibelius saß isoliert zu Hause in Finnland und der mit Wechseln aufrechterhaltene Haushalt versank immer tiefer in Schwierigkeiten.
Im Herbst 1914 sah sich Sibelius gezwungen, wie am Fließband Miniaturen für die einheimischen Verleger zu komponieren, um seine Schuldenlast in Höhe von 83 000 Mark (240 000 Gegenwartseuro) zu bewältigen. Es ist dennoch klar, dass Cantique für Violine und kleines Orchester nicht nur in der Hoffnung auf schnelles Geld entstand. Sibelius selbst dachte an den Gebrauch des Werkes Cantique (Laetare anima mea) in Kirchenkonzerten und erinnerte auch daran, dass das begleitende Orchester auf den Orgelchor passen sollte. Er schlug auch eine Fassung für Orgel und Harfen vor, bearbeitete aber sofort im Dezember 1914 eine Fassung für Violine und Klavier. Man hat in der Musik sogar Echos aus dem Adagio der Symphonie Nr. 7 gehört.
Devotion (Ab imo pectore) wurde nach einigen Umwegen Cantique im Opus 77 hinzugefügt. Sibelius erwähnte im Januar 1915 in einem Brief an den Verleger zuerst die Romanze F-Dur (Romanssi F-duuri) (später in op. 78) „als das weltliche Gegenstück“ für sein Cantique. Schließlich passte das erst im Juli 1915 vollendete Werk Devotion als Partner in dieses Opus.
Devotion wurde am 9. Juli zuerst für Violine und Klavier fertiggestellt und die Fassung für Orchester folgte zwei Tage später. Erkki Salmenhaara ist in seinem Sibelius-Buch der Meinung, dass die Fassung für Violine und Klavier von Devotion ausgewogener ist als die Fassung für Orchester.
Wenn Cantique die Freude des Geistes als Folge der göttlichen Gnade darstellt, könnte Devotion den Verdacht und nutzlosen Versuche schildern, die aus den Tiefen des Herzens hervorquellen, die in noch schrecklicherem Licht erscheinen, wenn das Werk als Fortsetzung des edlen Cantique gespielt wird. Interessant ist aber, dass in der Uraufführung am 30. März 1916 Devotion vor dem Werk Cantique gespielt wurde.
Der Solocellist Ossian Fohström des städtischen Orchesters Helsinki mag Sibelius dazu gebracht haben, dass die Solos der Werke in Opus 77 letztendlich entweder mit Violine oder mit Violoncello gespielt werden können. Sibelius widmete die Kompositionen dem Cellisten Fohström, der sie in einem Konzert des Städtischen Orchesters uraufführte und das Sibelius selbst dirigierte.
Der Kritiker Otto Kotilainen von „Helsingin Sanomat“ vermutete, dass „die kurzen, in ihrer Einfachheit schönen und andächtigen Melodien wohl mehr die Stimmung in Kirchen als in Konzerten zu erhöhen gemeint sind“. Fohström wurde für „das saftige Cantilena-Spielen“ gelobt, aber die Violoncellosoli fand Kotilainen „nicht besonders lobenswert, denn die Begleitung bewegte sich auf denselben Tonhöhen und neigte dabei den Klang des Soloinstruments zu stören. Man möchte eigentlich annehmen, dass sie als Violinensoli luftiger klingen würden“.
Violine war ja auch Sibelius’ erste Wahl für das Soloinstrument des Opus 77.