Die erste finnische Freimaurerloge wurde im Jahr 1756 gegründet, aber als Schweden 1809 Finnland an Russland verlor, stellten die Freimaurer in Finnland ihre Aktivitäten ein.
In den ersten Jahren des selbstständigen Finnlands begannen einige Amerikaauswanderer, die die Freimaurerei in ihrer neuen Heimat kennen gelernt hatten, die Ideologie des Freimaurertums in Finnland wieder zu beleben. Die Aktivsten waren der Anwalt Toivo H. Nekton (früher Itkonen) und der 1918 nach Finnland zurück gesiedelte Ingenieur J. E. Tuokkola. Die Herren Nekton und Tuokkola entwarfen beide lange Listen mit Namen potentieller Mitglieder für die zukünftige Loge. Schon in den ersten Entwürfen stand der Name „des weltweit berühmten Komponisten“ Professor Jean Sibelius. In der ersten Fassung der Namenliste waren neben Sibelius u. a. General C. G. Mannerheim, Erzbischof Gustaf Johansson, der Architekt Lars Sonck, der Maler Pekka Halonen und der Komponist Robert Kajanus. Es ist nicht bekannt, ob Nekton mit ihnen den Vorschlag diskutierte und wie sie dem Vorschlag gegenüberstanden, aber keiner von ihnen war auf der endgültigen Liste zu finden.
Als am 14. August 1922 in kleinem Kreis über die baldige Gründung der Loge Nr. 1 in Finnland diskutiert wurde, wurde im Protokoll vermerkt, dass „Jean Sibelius für die Loge originelle, echt finnische Musik komponieren würde“. Toivo H. Nekton, der aktiv im Chor gesungen hatte, hatte auch schon diese Angelegenheit mit seinem alten Freund diskutiert. Im Protokoll war auch ein Vermerk, dass Jean Sibelius und Sigurd Wettenhovi-Aspa „von der Registrierungsgebühr und vom Mitgliedsbeitrag für das erste Jahr“ befreit wären. Es wurde gewünscht, dass Sibelius als Organist der Loge tätig sein würde, und Wettenhovi-Aspa wurde diese Vergünstigung genehmigt, weil er versprochen hatte – ein Versprechen, das er übrigens nicht einhalten sollte – eine Geschichte der finnischen Freimaurerei zu schreiben.
In Anwesenheit einer angesehenen Gesellschaft, die sich am 22. August 1922 im Ständehaus in Helsinki versammelt hatte, führte der Großmeister des Bundesstaates New York, Arthur S. Tompkins, mit seiner Begleitung, die Investitur nach den vorgeschriebenen Ritualien aus. Einer der Ankömmlinge agierte als Aufnahmekandidat für die Investitur und Jean Sibelius und fast dreißig andere Männer folgten den Ereignissen von der Seite. Die Loge Suomi nahm ihre Tätigkeit mit großer Begeisterung auf. Sibelius nahm während des ersten Jahres an den Sitzungen der Loge sogar sechs Mal teil, aber weil er sich dann sehr viel im Ausland aufhielt, besuchte er in den nächsten Jahren die Sitzungen seltener.
Es scheint, dass Sibelius immer, wenn er an den Sitzungen teilnahm, hinter dem prächtigen Orgelharmonium Mannborg saß. Damals stand den Freimaurern nämlich noch keine Orgel zur Verfügung. Das Programm umfasste u. a. Kompositionen von Mozart, Beethoven, Händel und Bach, aber auch bekannte Choräle. Als der Maestro an den Logenabenden am Harmonium saß, waren neben gewöhnlicher Musik auch feine Improvisationen zu hören, u. a. Marche funèbre (Surumarssi), der später dem dritten Grad der Freimaurerei angeschlossen wurde, war im April 1923 schon fast vollendet. Der harmoniumspielende Sibelius schien manchmal, wenn er richtig begeistert war, die Zeit und den Platz zu vergessen und dann musste der Meister der Loge das Spiel rücksichtsvoll unterbrechen, um mit den Ritualien weitermachen zu können.
Die Ritualmusik der Freimaurer
Auf die eigene Ritualmusik mussten die Freimaurer jedoch warten, es schien, dass Sibelius die ganze Sache vergessen hätte. Wäinö Sola (er war im April 1923 Freimaurer geworden, als Sibelius zeitweise als Organist der Loge tätig war), der nichts von den ursprünglichen Plänen wusste, schlug im Herbst 1926 bei einer gemeinsamen Mahlzeit der Brüder vor, dass man Sibelius bitten sollte, eigene Ritualmusik für die finnischen Freimaurer zu komponieren. Der Vorschlag wurde eifrig unterstützt und schon am nächsten Tag hatte Sola die Gelegenheit, Sibelius das Ersuchen zu übermitteln. Sibelius willigte ein. Die Loge Suomi beschloss, das Projekt finanziell zu unterstützen. Ein Bruder der Loge Suomi, der Apotheker Berndt Forsblom, schenkte 10 000 Mark für diesen Zweck. Sibelius bekam die Summe noch vor Jahresende.
Jetzt begeisterte sich auch Sibelius für die Sache und rief am 7. Januar 1927 früh am Morgen Sola an und bat ihn, zusammen mit Bruder Linko (Ernst Linko war ein paar Wochen nach Sibelius Freimaurer geworden) am selben Abend an der Sitzung der Loge Suomi teilzunehmen. Dort würde zum ersten Mal die von ihm komponierte Ritualmusik aufgeführt werden. In der Veranstaltung gab Sibelius den beiden die Noten und so mussten sie unvorbereitet auftreten. Schon am Vormittag hatte Sibelius Gelegenheit gehabt, die Musik anzuhören, als der festangestellte Organist der Loge, Arvi Karvonen, sie spielte. Aus dem Harmonium war jedoch nicht so ein Forte herauszuholen, wie der Maestro es haben wollte und so musste sich das Mannborg eine deftige Predigt des wütenden Komponisten anhören. Nicht die gesamte Musik wurde an diesem Abend gespielt, aber zumindest drei Kompositionen der Ritualmusik waren dort zum ersten Mal zu hören. Aufgabe der Loge war es, Bruder Samuli Sario zum Meister der Loge zu benennen. Er war geschickt in Wort und Rede und nahm auch am Übersetzen und an der schriftlichen Formulierung der Texte der Ritualmusik teil.
Es dauerte insgesamt nur fünf Tage, bis die gesamte Ritualmusik vollendet und fertig für die Aufführung war. Als Sibelius selbst am Abend des 12. Januar 1927 bei der Sitzung der Loge anwesend war, führten Wäinö Sola und Arvi Karvonen die gesamte Ritualmusik für die versammelten Brüder auf. Auch der stellvertretende Großmeister der Loge Suomi, V. M. J. Viljanen, war dabei. Er dankte in seiner herzlichen Rede dem Komponisten und konstatierte, dass der weltweite Ruhm von Sibelius durch die neue Ritualmusik weiterhin „erhellt und verewigt wird“.
Die Leitung der Großloge Finnlands hatte sehr wohl den Wert der großen Arbeit des Komponisten verstanden und sie hatte beschlossen, Sibelius zum Ehrenmitglied zu ernennen. Viljanen teilte die Berufung dem Komponisten mit, der die Ehrenmitgliedschaft dankbar entgegennahm. Nach Sibelius haben nur zwei Brüder diesen großen Ehrenerweis erhalten.
Am Abend der Uraufführung der Ritualmusik übergab Sibelius die von ihm komponierte Musik seiner eigenen Loge, der Loge Suomi und verfügte, dass auch die zwei anderen Logen in Finnland, Tammer und Phoenix, die Musik in ihren Sitzungen einsetzen durften. Mit Erlaubnis des Komponisten kopierte Sola die Noten für die anderen Logen und seitdem haben alle Logen in Finnland in jeder ihrer Sitzungen nur die Musik des Komponistenbruders, den sie sehr hoch schätzten, eingesetzt.
Es scheint so zu sein, dass Sibelius an diesem Abend seine Loge das letzte Mal besuchte. Sein Name scheint jedenfalls in den Protokollen der Loge Suomi später nicht mehr auf. Als Wäinö Sola Anfang Januar 1928 Meister der eben gegründeten Loge Nr. 4, P. Johannes, wurde, lud er Sibelius mehrere Male ein, die Sitzungen der neuen Loge zu besuchen. Er beehrte die Loge auch mit seiner Anwesenheit an ihrem 10-jährigen Jubiläumstag, aber spätere Vermerke seiner Besuche wurden nicht gefunden.
Damals gehörten acht Kompositionen zu der Ritualmusik. Die Eröffnungshymne (Avaushymni) leitete die Logensitzung gelassen feierlich ein, Alttarin valmistus (Die Vorbereitung des Altars) ist eine kurze und feierliche Hymne, das dritte Stück wird als festliche Musik, die voll von Mystik ist, für Festzüge eingesetzt. Dem vierten Satz der Ritualmusik gab Sibelius keinen Namen, sondern benannte ihn einfach Nr. 4, als Name des fünften Satzes hatte er Valoa (Licht) hingeschrieben. Heute kennt man diese schönste Perle der Ritualmusik mit dem Namen Sulkemishymni. Bei der Kompositionsarbeit der heute mit dem Namen Salem bekannten Schlusshymne mag das Gedicht von Viktor Rydberg Sibelius inspiriert haben, das Samuli Sario geschickt übersetzt hatte. Salem wurde 1938 bei der Eröffnung der New Yorker Weltausstellung aufgeführt. Der amerikanische Verleger Galaxy hatte es soeben in der ersten amerikanischen Auflage der Ritualmusik veröffentlicht.
Die Komposition Nr. 7 (zu diesem Zeitpunkt noch ohne Namen) beabsichtigte Sibelius für das Ritual der Freimaurerbrüder, für den Text wurde das Gedicht Arioso von Viktor Rydberg ausgeliehen. Die letzte Nummer der Ritualmusik, der Trauermarsch Marche funébre (Surumarssi), ist eine der bedeutungsvollsten Kompositionen der Suite, die als Trauermusik auch außerhalb der Bruderschaft eingesetzt wird. Später wurde auch noch der Choral von Sibelius, Groß bist Du, Herr (Suur’ olet Herra) in die Suite eingefügt. Die letzten Kompositionsarbeiten von Sibelius waren die 1948 vollendeten, in die finnische Ritualmusik der Freimaurer eingefügten Werke Brudergesang (Veljesvirsi) und Lobeshymne (Ylistyshymni).
Die Brüder nahmen die Ritualmusik von Sibelius begeistert entgegen. Sola beschrieb die Stimmungen in seinem Brief an den Apotheker Berndt Forsblom:
„Die Musik von Sibelius ist jetzt vollendet und sie ist wundervoll. Es gibt da mehr Gesang als du glauben kannst. Sibba hat Texte gesucht, angefangen von Konfuzius und hat wunderschöne poetische Perlen bei Rydberg, Schiller und Goethe gefunden. Das von dir vorgeschlagene Gedicht von Simelius hat den allerschönsten Ausdruck bekommen.
Die Kompositionen von Sibba können mit oder ohne Gesang aufgeführt werden und der Trauermarsch ist einfach fantastisch. Die Loge Suomi kann überglücklich sein, dass sie diese Musik hat. — Wenn man eine große Orgel in einer großen Kirche und auch noch ein Orchester dazu hätte, dann würden schon manche ganz kräftig in Erstaunen geraten.“
Mit Opus 113 waren auch einige urheberrechtliche Probleme verbunden. Als der Großschreiber der Großloge New York 1933 Finnland besuchte, hörte er zum ersten Mal die Ritualmusik von Sibelius und war sehr begeistert davon. Der Großmeister Axel Solitander brachte ein paar Jahre später eine Geschenkausgabe der Ritualmusik, die Sibelius zu drucken verboten hatte, der Mutter-Großloge Amerika. Es gab Schwierigkeiten beim Austausch der Information und weil auch die Copyrightbestimmungen in Amerika und in Finnland widersprüchlich zu sein schienen, ließ die Großloge New York 1937 die Noten für die Ritualmusik einfach drucken. Diese Noten erreichten Finnland erst 1948! Die nächste Auflage wurde dann in Zusammenarbeit der Großlogen herausgegeben. Die finnischen Auflagen stammen aus den Jahren 1969 und 1992.
Die Musique religieuse (Rituelle Freimaurer-Musik), Opus 113, ist ein unersetzlicher Schatz für die finnischen Freimaurer und erzählt zugleich aller Welt vom großen finnischen Freimaurer.
Finlandia (Fassung für Freimaurer)
In den Veranstaltungen der Freimaurer wurde schon in den 1920er Jahren außer Ritualmusik auch sehr viel andere Musik aufgeführt. Wäinö Sola hatte schon vor der Vollendung der Ritualmusik die Idee gehabt, aus der Hymne Finlandia eine Fassung für Chor oder Singstimme für die Freimaurer zu bekommen. Sie sollte dann mit eigenem freimaurerischem Text aufgeführt werden. Der von ihm geschriebene Text wurde Anfang Februar 1937 fertig. Sola schickte seinen Text an Sibelius, ohne seine Urheberschaft zu erwähnen. Sibelius akzeptierte den Text und fertigte eine Fassung für Männerchor in den Hymneanteil von Finlandia. In der Sitzung anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Loge Nr. 4, Johannes, führten am 21. April die Brüder Wäinö Sola, Martti Similä, Sulo Räikkönen und A. O. Turunen als Quartett zum ersten Mal die Hymne mit dem Text auf. In dieser Veranstaltung war auch der Maestro selbst anwesend.
In der Veranstaltung wurde auch ein Musikfonds gegründet, der Sibelius’ Namen trägt. Wäinö Sola spendete als Erster einen Scheck, der Sibelius für seine Verdienste für die Loge versprochen worden war und den der Komponist nicht annahm. Der Meister der Loge, O. J. A. Viljanen, bestimmte eine Grundsumme für den Fonds und anstatt des üblichen Witwenscherfleins wurde an diesem Abend eine Geldspende für den Fonds gesammelt.