Libretto von Rafael Herzberg. Erstaufführung am 7. November 1896 in Helsinki (Ida Flodin, E. Engström, Emmy Achté, Abraham Ojanperä und Orchester der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Jean Sibelius).
Die Jungfrau im Turm (Neito tornissa) wurde im Herbst 1896 mit dem Librettisten Rafael Herzberg für eine Benefizlotterie gemacht. Es handelt sich um ein nur ungefähr 35 Minuten langes Werk in einem Akt. Nur ein paar Jahre zuvor hatte Sibelius ernsthaft an einer großen Oper Der Bootsbau (Veneen luominen) gearbeitet. Jetzt schrieb er ganz schnell ein kleines Werk, das seine einzige Oper blieb. Emmy Achté hat über die Vorbereitungszeit Folgendes geschrieben:
„Kannst du dir vorstellen, dass wir das Finale für Sibelius’ Oper noch nicht bekommen haben und auch ich habe die Musik für das kleine Stück, in dem ich auftreten soll, noch nicht bekommen und jetzt sind es nur noch zwei Wochen und drei Tage bis zu der Benefizlotterie. Die Musik ist dramatisch eindrucksvoll und wenn wir nur Zeit hätten, würde sie schon gut klingen. Ich bin sehr müde, denn es hat Tage gegeben, an denen ich acht Stunden [Proben] hatte und zusätzlich auch noch alle Angelegenheiten zu erledigen hatte und all die Mühe dazu. Ich muss ja dauernd zu Sibelius laufen und ihn zwangsläufig darauf aufmerksam machen, dass wir seine Musik nicht erraten können, sondern Noten brauchen.“
Die Uraufführung kam relativ gut an, aber der Kritiker Oskar Merikanto hatte auch Bedenken: „Es ist ganz natürlich, dass der erste Versuch nicht immer der Beste ist, das ist auch hier der Fall“, kommentierte er. Merikanto bemerkte mit Recht, dass das Thema nicht besonders groß und dankbar war. Merikanto fand den Text eintönig und es gab darin „zu wenig Aktivität“. Merikanto war auch der Meinung, dass die langen Zwischenspiele von Sibelius die Aktivität auf der Bühne unterbrachen.
Merikanto lobte jedoch mit Recht den Farbenreichtum der Orchestrierung, obwohl er kritisierte, dass die Stimme des Vogtes unter der zu starken Begleitung verschwunden wäre. Die Vorstellung selbst verlief nach Merikanto „so ziemlich verworren“. Er gab dennoch zu, dass das Publikum „kräftig applaudierte“ und dass „sowohl die Künstler und Künstlerinnen als auch Herr Sibelius viele Male auf die Bühne gerufen wurden“.
Die Vorstellung wurde zu Gunsten des Komponisten wiederholt, so dass Sibelius die Arbeit nicht nur für Wohltätigkeit machte. Sofort nach der Premiere wollte man das Werk im folgenden Sommer für das Sängerfest in Mikkeli, aber der Komponist lehnte das ab, wie auch alle anderen Angebote für Aufführungen. Er wollte sein Werk erneuern, aber das etwas einfache Libretto inspirierte ihn anscheinend nicht. „Die Jungfrau darf in ihrem Turm bleiben“, soll der Komponist eifrigen Fragestellern geantwortet haben. Aber dennoch dirigierte Sibelius noch im April 1900 die Ouvertüre der Oper bei seinem Konzert in Turku.
Die Ouvertüre ist auch einer der besten Teile der Oper. Sie entwickelt sich lebensfreudig und beschwingt wie die Karelia-Musik, aber gegen Ende ist schon die wüste Musik des Vogts zu hören.
Die Inhalt der Oper ist äußerst einfach. In der ersten Szene sieht der Vogt eine schöne Jungfrau beim Blumenpflücken. Er lockt die Jungfrau mit seinem Reichtum zu Liebesspielen und als er damit kein Glück hat, nimmt er sie mit Gewalt. Die Musik ist fieberhaft, aber mit der gewaltsamen Verführungsszene in Kullervo kann diese in schwächeren Tönen geschriebene Szene nicht verglichen werden.
In der zweiten Szene muss die Sopranistin zeigen, was sie kann, denn diese Orchesterlieder von Sibelius sind vollblütig und schlängelnd. Die Jungfrau klagt über ihr Schicksal.
In der dritten Szene erzählt der Chor, den man von außerhalb hören kann, dass man von der Jungfrau enttäuscht sei, weil sie ihre Ehre und ihren Glauben gegen das Glitzern des Goldes getauscht hätte. Die Jungfrau klagt in ihren kurzen Zwischenrepliken über ihr Schicksal.
Die vierte Szene stellt den Tenor, den Liebhaber, vor, der seine verschwundene Jungfrau vermisst.
Die fünfte Szene fängt mit einem ekstatischen Duett an, als der Liebhaber die gefangene Jungfrau in ihrem Turm bemerkt. Nach leidenschaftlichen Erläuterungen werden Liebesgelöbnisse geschworen und die Musik erreicht erotisches Glühen.
In der sechsten Szene streiten der Vogt und der Liebhaber um die Jungfrau und zücken ihre Schwerter.
In der siebten Szene unterbricht die Schlossherrin den Kampf und verhaftet den Vogt nach einer sehr kurzen Auseinandersetzung.
In der achten Szene freuen sich die befreite Jungfrau und ihr Liebhaber und danken der Schlossherrin. Der Chor beteiligt sich an der Danksagung.
Es fehlt an nichts in Sibelius’ Musik: die Orchestrierung ist geschickte Arbeit, die Melodien sind leicht einzuprägen und es gibt auch genügend an dramatischer Glut. Die Jungfrau im Turm (Neito tornissa) kehrte auch 1981 ins Repertoire zurück, als Jussi Jalas sie für den finnischen Rundfunk dirigierte. Aufführungen und Plattenaufnahmen wurden auch danach gehört, aber die Regisseure zeigen wenig Lust, die inhaltsschwache Oper aufzuführen.