Maria Sibelius mit ihren Kindern Linda und Janne um das Jahr 1867
Johan Christian Julius Sibelius wurde am 8. Dezember 1865 in Hämeenlinna, einer kleinen Garnisonstadt im Großfürstentum Finnland, geboren. Finnland war damals ein Teil des Russischen Reichs. Sein Vater war der 44-jährige Dr. med. Christian Gustaf Sibelius, seine Mutter die 24-jährige Maria Charlotta Sibelius, geborene Borg. Der Vater arbeitete als städtischer Arzt und als Arzt des Scharfschützenbataillons Hämeenlinna.
Das Paar beschloss, den Jungen nach dessen Onkel väterlicherseits, dem Kapitäns eines Handelsschiffes, der Johan „Janne“ Sibelius hieß, Janne zu nennen. Janne gewöhnte sich später an, seinen Taufnamen in der Reihenfolge Johan Julius Christian zu schreiben. Während seiner Studienjahre fing er an, im Nachlass seines Onkels gefundene Visitenkarten zu benutzen. Auf den Karten hatte der Onkel seinen Namen nach dem Zeitgeschmack in französischem Stil geschrieben. So kam es, dass die Nachwelt den Komponisten Johan Christian Julius „Janne“ Sibelius unter dem Namen Jean Sibelius kennt.
Der Vater Jannes starb im Juli 1868, also mitten in den großen Hungerjahren in Finnland, an Typhus. Janne blieb nur ein verschwommenes Erinnerungsbild an seinen nach Zigarren riechenden Vater, der seinen Jungen auf den Schoß genommen hatte und ihm das Bild eines weißen Schwanes in einem Bilderbuch gezeigt hatte.
Nach dem Tod des Dr. Sibelius ist etwas Furchtbares ans Tageslicht gekommen. Er hatte für Freunde, für die er gebürgt hatte, einspringen müssen. So hatten sich Schulden von etwa 13 500 Euro, (im Geldwert 2002) und die Gesamtschulden des Nachlasses, einschließlich der Begräbniskosten, betrugen schließlich ungefähr 15 000 Euro. Über den Nachlass wurde der Konkurs eröffnet und den größten Teil des persönlichen Besitzes bekamen die Gläubiger. Maria Sibelius musste mit ihren Kindern zu ihrer Mutter, der Pröpstin Katarina Borg (geborene Haartman), umziehen, denn die Witwenrente reichte nicht für das Führen eines eigenen Haushalts aus.
Katarina Borg (1812–1892), Sibelius‘ Großmutter mütterlicherseits
Der kleine Janne fügte über eine rege Phantasie. Er kroch unter das Tafelklavier, wenn die Mutter spielte, und assoziierte die Töne mit den Farben der Flickenteppichstreifen. Er dachte sich Geschichten sowohl von Feen als auch von Bränden der nahe liegenden Häuser aus, von denen er sich einbildete, sie gesehen zu haben. Die Angehörigen nahmen Janne von klein auf in Konzerte mit und ungefähr seit dem vierten Lebensjahr versuchte er schon Akkorde und Melodien auf dem Klavier zu spielen.
Die Sommer verbrachte die Familie bei der Großmutter väterlicherseits, Katarina Fredrika Sibelius, und bei der Tante Evelina Sibelius in Loviisa. Dort gab Janne, aus dem Publikum heraus, laute Kommentare zur Musik der Sommerkonzerte ab. In Loviisa wohnten die Sucksdorffs, eine verwandte Familie, und der kleine Janne nahm an den von ihnen veranstalteten Musik- und Gedichtabenden teil. „Loviisa war für mich Sonne und Freude, Hämeenlinna die Schulstadt, Loviisa die Freiheit“, besann sich Sibelius später.
Ein Beispiel für die Vorstellungskraft Jannes: Illustration des zukünftigen Komponisten in einem Brief an Tante Evelina im Dezember 1875.
Im Herbs 1872 kam Janne in die schwedischsprachige vorbereitende Schule von Eva Savonius. Der Junge fiel wegen seiner Ruhelosigkeit auf und musste oft unter den Tisch der Lehrerin gehen, um sich zu schämen. In diesen Jahren versuchte die Tante Julia, Janne das Klavierspielen systematischer beizubringen und schlug ihm nach jedem falschen Ton mit einer Stricknadel auf die Finger. Diese Methode gefiel Janne gar nicht und so begnügte er sich bald nur mit Improvisationen und mit der Beurteilung von Tante Julias anderen Musikschülern.
Spätestens durch den Musikunterricht der Tante lernte Janne jedoch Noten lesen. In den folgenden Jahren spielte er sowohl allein, als auch vierhändig mit seiner älteren Schwester Linda solche Stücke nach Noten, die ihn interessierten. Linda erinnerte sich später, dass Janne „schon als ziemlich kleiner Junge” für Klavier und Geige komponierte.
Der schwedischsprachige Janne wurde in die vorbereitende finnischsprachige Schule von Lucina Hagman versetzt, um da gründlich Finnisch zu lernen, was Voraussetzung für die Aufnahme in das Gymnasium (Hämeenlinnan normaalilyseo) war. Hämeenlinna war damals eine recht untypische finnische Stadt: Da konnte man die Reifeprüfung nur auf Finnisch ablegen, aber nicht auf Schwedisch. Finnland hatte bis 1809 zu Schweden gehört und die dominierende Sprache der Gebildeten war immer noch Schwedisch, nicht Finnisch.
Jannes bester Schulkamerad war Walter von Konow von dem Landgut Lahinen in Sääksmäki. Letzt ließ Janne seiner Phantasie freien Lauf: die Jungen improvisierten zusammen mit ihren Kameraden Märchen-Schauspiele und bildeten ein kleines Kinderorchester, zu dessen Instrumenten „Triangel, Mundharmonikas, Ton-Kuckucke und Glocken“ gehörten. Janne leitete die Aufführungen vom Klavier aus.
„Janne“ Sibelius als junger Gymnasiast
Im Jahr 1876 bestand Janne die Aufnahmeprüfung und fing an, am finnischsprachigen Gymnasium (Hämeenlinnan normaalilyseo) zu studieren. Musik spielte auf dem Lehrplan der Schule keine bedeutende Rolle, und das Bisschen Gesang in der Musikstunde, brachte Jannes Begabung nicht voll zur Geltung. Die Note für das Singen war in den ersten Jahren bei acht (gut).
Sibelius wurde für einen geistesabwesenden Schüler gehalten, der auf die Seitenränder seiner Schulhefte lieber Noten malte, als Unterrichtsnotizen festzuhalten. Zum Beispiel in Mathematik und Pflanzenkunde fand er sich jedoch gut zurecht. In seiner Freizeit war Janne ein Bücherwurm, sammelte Briefmarken und Pflanzen, wanderte in der Natur und in der Pubertät fing er auch an, auf die Jagd zu gehen. Der Junge las auch viel und bewunderte Runeberg in so reichem Maße, dass er an seinem Grab zu erleben glaubte, dass die Seele des Dichters in seine eigene Seele überströmte.
Johan Ludvig Runeberg (1804–1877)