Die Familie

Die Familie

Die Familie

Jean Sibelius



„Viele würden mein Heim für bescheiden halten, aber ich bin damit zufrieden. Ich bin nicht wie der schwedische Dichter, Verner von Heidenstam, der sich ein großartiges Sommerhaus an einem wunderschönen See bauen ließ und dann darüber klagte, dass er nicht arbeiten könnte, weil alles um ihn herum ihn zwinge, sich für das Geschriebene zu schämen. Ich bin aber gescheiter gewesen. Ich baute das Haus in einer Umgebung, die nicht zu schön ist. Wenn ich also hier meine Musik komponiere, ist es möglich, dass ich mich nicht dafür schämen muss!“

Lesen Sie auch Die Hausbewohner Ainolas: Jean Sibelius

Aino Sibelius

„Die Kinder wussten instinktiv, wie sie sich benehmen sollten und was der Respekt vor der Arbeit des Vaters von ihnen verlangte. Und genau so instinktiv fühlte jedes von ihnen sich irgendwie erleichtert in dem Moment, wenn der Vater zu schreiben anfing. Das bedeutete, dass das Werk zu seiner endgültigen Form herangereift war, dass es dabei war zu entstehen (…) Dann war es immer, als ob die Sonne nach der langen wolkigen Periode voll gestrahlt hätte. Das ganze Haus war wie vom Frühling aufgeheitert und die Kinder wurden wieder lustig und heiter. Mein Gatte konnte in solchen Tagen sogar zwei Tage und Nächte durcharbeiten ohne von seinem Schreibtisch aufzustehen.

Sie (die Kinder) hatten damals im Sommer so viel Spaß! Hier gab es ja so viele gleichaltrige Spielkameraden: die Halonens, Paloheimos, Hjelts und Järnefelts. (…)

Ich kann mich gut erinnern, als an unserem Haus Reparaturarbeiten durchgeführt wurden und ein Maler bei der Arbeit pfiff. Ich musste ihn sehr höflich bitten, damit aufzuhören, weil es den Professor störe. Der Mann verstand nicht richtig, aber mir fiel ein guter Vergleich ein. Was würde er sagen, wenn er gerade eine Wand fertig gemalt hätte und es käme jemand und würde die Wand überstreichen und somit die ganze Arbeit zerstören. Jetzt verstand er. (…)

Ich bin glücklich, dass ich mit ihm habe leben dürfen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht umsonst gelebt habe. Ich will nicht behaupten, dass es immer leicht gewesen wäre – ich habe so einiges unterdrücken und mein Benehmen kontrollieren müssen – aber ich bin sehr glücklich. Ich segne mein Schicksal und halte es für einen Glücksfall. Die Musik meines Gatten ist für mich wie Gotteswort – ihr Ursprung ist nobel, und es ist wunderbar in der Nähe solcher Quelle zu leben.

Lesen Sie auch Die Hausbewohner Ainolas: Aino Sibelius

Eva Paloheimo

„Als wir Kinder klein waren, hatten wir das Gefühl, dass Ainola, unser Heim, ein Schiff war, das allein auf dem weiten Meer segelte: es gab nichts Sicheres außerhalb von Ainola. Es war nicht sicher, ob es Geld gäbe, unser Vater hatte keinen Beamtenposten, also auch keinen Lohntag. Es war nicht sicher, ob Vecsey Vaters Violinkonzert in Berlin gut spielen würde, oder ob Henry Wood in England auch die Symphonie Nr. 4 in sein Repertoire aufnehmen würde, denn alle hielten sie ja für so schwierig und verworren, obwohl sie für uns sonnenklar war, wenn man sie nur bissig spielte.

„Es war auch nicht selten, dass schlechte Rezensionen erschienen: ein deutsches Büro sammelte sie aus der Weltpresse und schickte sie unserem Vater. Am liebsten wäre ich der Posttante entgegengelaufen und hätte sie um die Briefe gebeten, damit sie nicht in die Hände des Vaters geraten wären: sie haben diesen zuerst aufgeregt, danach niedergedrückt und die Mutter hat wieder geweint. Aber es wäre ohne sie noch schlimmer gewesen, weil dann der Vater das Gefühl gehabt hätte, dass seine Werke ignoriert werden. Man musste also nur leiden und das Alles aushalten.“

„In der Nacht, wenn wir schon lange geschlafen hatten, konnte es passieren, dass wir vom Spiel des Vaters wach wurden: es war warm, der Mond schien aus einer anderen Richtung als gewöhnlich, es wäre ein bisschen grausig gewesen, aber das Spielen des Vaters brachte Geborgenheit mit sich und spendete Trost: der Vater gehört zu uns, er leitet das Ainola-Schiff durch die Gefahren und Stürme der Welt und er wird eines Tages vielleicht noch berühmt.“ (…)

„Das Leben in Ainola ist jetzt [im Jahr 1935] in vieler Hinsicht anders als in unserer Kindheit: es gibt keine Geldsorgen mehr und auch weniger schlechte Rezensionen als früher. Bewunderung, Interesse und Verständnis strömen aus der Welt zu. Jetzt wird nicht mehr nur über Valse trieste oder Finlandia gesprochen, die Tondichtungen für Orchester und Symphonien von Sibelius sind auf Platten aufgenommen und sind jetzt Eigentum der Leute, die diese Musik lieben.“

Lesen Sie auch Die Hausbewohner Ainolas: Eva Paloheimo

Ruth Snellman

„Ich war neun Jahre alt, als wir nach Ainola umzogen. Von Ainola aus konnte man beinahe einen Kilometer der Landstraße sehen. Auf diese Straße und ihre nächste Umgebung konzentrierte sich unser Leben sehr wesentlich.“

„In Tuusula wohnten die Familien Paloheimo und Halonen, die Familie Eero Järnefelt in Suviranta, die Familie Juhani Aho in Ahola und in Lepola wohnten mehrere Enkelkinder und Urenkelkinder des Leibarztes Hjelt. Die Familien hatten auch oft Besuch von Jugendlichen. Zum Beispiel besuchte Sillanpää oft unseren Vetter, Heikki Järnefelt, in Suviranta. Sie waren gute Freunde. Auch die Mitglieder der Akademie, Eino Kaila und Matti Kivekäs, wohnten in Tuusula, als sie noch junge Studenten waren.“

„Alle interessierten sich füreinander und für die Freunde der anderen. Dort wurden kleine Liebesgeschichten und auch Romanzen mit ganzem Herzen erlebt und so fanden sich in der Folge drei Paare. (…)“

„Es kann sein, dass unser Leben einen ganz besonderen Glanz dadurch hatte, dass beinahe alle unsere Freunde aus Künstlerfamilien kamen. Das ganze Dasein war irgendwie zufällig. Niemand hatte regelmäßiges Einkommen. Jeder tat, was er am besten konnte.“

„Meine Mutter zum Beispiel machte viel Reinschriftarbeit für den Schriftsteller Juhani Aho, der die Bibel übersetzte.“

„Unsere Eltern beteiligten sich oft an unseren Aktivitäten. Ich erinnere mich daran, dass ich manchmal darüber nachdachte, wie so alte Leute das überhaupt schafften, aber sie waren ja gar nicht so alt, wie es mir – dem jungen Mädchen – vorkam.“

Lesen Sie auch Die Hausbewohner Ainolas: Ruth Snellman

Katarina Ilves

„Zu der Zeit [des Umzugs 1904] konnte Järvenpää nicht einmal als ein Dorf bezeichnet werden, denn es gab dort eigentlich nur fünf Häuser: den Laden, den Bahnhof, die Post, die Pferdewechselstation und die Bäckerei. Das übrige Land gehörte zum Gutshof und da gab es kaum Besiedlung. Mittelpunkt unseres Lebens waren die Kiesgrube als Treffpunkt der Jugendlichen sowie die Scheune in der Nähe des Heimes und die Schafweide. Ich rede mit meinen Schwestern immer noch von diesen Stellen als geographische Bezugspunkte, obwohl es sie nicht mehr gibt. (…) In meiner sehr frühen Kindheit hatte ich die Vorstellung, dass Ainola ein Segelschiff war, das in die Richtung segelte, wo heute der Flügel steht. Der Vater kümmerte sich um die Segel und die Mutter saß am Ruder.“

„Wenn der Vater zu Hause war, erfüllte er das ganze Haus. Die Stimmung dort war irgendwie sehr geborgen und angenehm. Wenn er weg war, durften wir Kinder gewissermaßen freier sein, wir durften spielen und singen. Aber es gab eine Leere. Seine Persönlichkeit strahlte überall hin und man fühlte sich sehr geborgen. (…) Die Mutter stand um 6.30 Uhr auf. Sie nähte mit der Nähmaschine, wenn Vater auf Reisen war, und arbeitete im Garten. Der Vater stand spät auf und machte seinen morgendlichen Spaziergang zu der Fichtenhecke. Den Kindern wurde Milchsuppe serviert. Kaffee gab es auch. Um 12.00 Uhr wurde das Mittagessen serviert. Als ich mit zerzausten Haaren zum Tisch kam, sagte der Vater: „Dein Kopf sieht aus wie ein Elsternnest. Es fehlen nur die Eierschalen.“

„Tagsüber wurden verschiedene Arbeiten erledigt und nachmittags wurde Kaffee getrunken. Das Abendessen wurde um 18.00 Uhr eingenommen und der Abendtee um 21.00 Uhr getrunken. Wir lebten nach einem strengem Zeitplan. (…) Der Vater war sowohl humorvoll als auch verständnisvoll. In der ersten Zeit pflegte er auf dem Landweg spazieren zu gehen, wo er Männer vom Dorf oder Bauern oder meinen Onkel Erik (Eero Järnefelt) traf. Pekka Halonen hielt sich in seinem etwas weiter weg gelegenen Haus zurück, besuchte Ainola aber oft. Die Gesten des Vaters waren lebhaft und schnell. Er ging auch schnell. Als er älter wurde, ging er natürlich langsamer. Er war sehr lebendig. In Gesellschaft konnte er witzig sein und Geschichten erzählen. Ich glaube schon, dass die Menschen ihn gern hatten. (…) Vater ärgerte sich manchmal darüber, dass er nicht für seine großen Werke Zeit hatte. Er musste ja Bagatellen komponieren, um Geld zu verdienen. Wir Kinder: „Warum komponierst du sie denn, wenn du es nicht willst?“ Vater: „Damit ihr Butterbrote bekommt.“ Wir: „Wir können doch auch etwas anderes essen.“

Lesen Sie auch Die Hausbewohner Ainolas: Katarina Ilves

Margareta Jalas

„Heidi und ich waren einsame Kinder. Zu unserer Zeit gab es in Tuusula jenes blühende gesellschaftliche Leben zwischen den Künstlerfamilien mit all seinen Theateraufführungen, Tanzfesten, Krebsausflügen und kleinen Techtelmechteln, von dem man so viel erzählt hat, nicht mehr. Unsere älteren Schwestern, Eva, Ruth und Katarina hatten sich an jenen Aktivitäten eifrig beteiligt, aber als wir das passende Alter erreicht hatten, waren sie und ihre Kameraden schon weggezogen – die meisten wohnten in Helsinki und waren verheiratet.“

„Wir zwei waren in Ainola geboren und somit echte Tuusulaerinnen. Wir spielten oft im Wald, der das Haus umgab, und waren so scheu, dass wir, wenn Gäste ins Haus kamen, davonliefen und uns hinter den Bäumen und den großen Steinen versteckten. Wir wollten keinesfalls vor den fremden Onkeln und Tanten knicksen und mit ihnen diskutieren, noch dazu auf Schwedisch, was uns sehr gekünstelt vorkam.“

„Auch Vaters Arbeit schränkte das Leben der Familie ein. Alle Töchter lernten Klavier spielen und ich noch zusätzlich Violine und Viola, aber wir durften nie üben, wenn Vater zu Hause war. Wenn er sich auf seinen täglichen langen Spaziergang begab, in den Park und in den Wald Ainolas, Tempel, wie er sagte, übten wir unsere Musikhausaufgaben. Wenn er zurückkehrte, war es im Haus wieder still.“

„Ich kann mich erinnern, wie ich einmal aus Versehen mit lauter Stimme den Gesang der Athener (Ateenalaisten laulu), seine eigene Komposition, sang. Er kam zu mir, lächelte freundlich und sagte: „Jetzt hast du gelernt, ihn ganz richtig zu singen.“ Ich wusste, dass es am besten wäre, ihn nicht ein zweites Mal vorzutragen. Ansonsten hatten wir durchaus nicht das Gefühl, dass unsere Familie die eines großen Mannes war. Nur jene Stille, die uns anerzogen worden war, unterschied uns von anderen Kindern. (…) Er hatte so einen blauen Blick. So einen Blick habe ich sonst bei niemandem gesehen. Ich kann mich immer noch an das Gefühl der Sicherheit entsinnen, das mich erfüllte, wenn ich auf seinem Schoss saß.“

„Wir Kinder fühlten seine Anwesenheit immer stark. Es ist schwer zu glauben, aber irgendwie wusste man immer, man fühlte es instinktmäßig, ob er zu Hause war oder nicht, auch wenn man ihn nicht sah… irgendwie war die Luft dichter, wenn er zu Hause war… ich hatte so ein Gefühl, als ob seine Anwesenheit sogar in den Bäumen Ainolas zu spüren gewesen wäre. Es war ganz merkwürdig.“

Lesen Sie auch
Die Hausbewohner Ainolas: Margareta Jalas

Heidi Blomstedt

„Es verlangte Mut ins Obergeschoss zu Mama und Papa zu schleichen, es gab ja kein elektrisches Licht. Die Treppen knarrten und es war schauerlich den ersten Treppenabsatz zu passieren, da an der Biegung war die Kammer, die wir Fuchsbau nannten. Dort wurden die Zigarrenschachteln des Vaters aufbewahrt… Ich kann mich erinnern, dass ich einmal beunruhigt fragte, was nach dem Himmel und dem Universum käme. „Na ja, dann kommt ja die Wand entgegen und eine Öffnung in der Wand und wenn du da hineinguckst, siehst du den Papa in seinem Sessel sitzen und seine Zigarre rauchen, “ antwortete der Papa. Ich fühlte mich wieder glücklich. Der Papa hatte mein Unsicherheitsgefühl verstanden und mich mit einem konkreten Beispiel beruhigt. (…) Mutter unterrichtete uns und als Piiu (Margareta) in die Schule kam, blieb ich für ein paar Jahre allein. Ich ging erst in die vierte Klasse des Gymnasiums. Aber Papa und Mama waren goldig und so im Nachhinein gedacht, opferten sie mir sehr viel Zeit. Ich glaube, dass ich als die Jüngste verwöhnt wurde, was bei den älteren Schwestern vielleicht nicht der Fall war.“

Lesen Sie auch Die Hausbewohner Ainolas: Heidi Blomstedt