Scaramouche

Scaramouche

Op. 71 Scaramouche

Musik für die gleichnamige tragische Pantomime von Poul Knudsen. Vollendet 1913, Uraufführung am 12. Mai 1922 in Kopenhagen (Det Kongelige Teater, Dirigent Georg Höeberg). Aus zwei Arrangements für Klavier (Danse élégiaque und Scène d’amour) 1914 und ein Arrangement für Violine und Klavier (Scène d’amour) 1925.

Sibelius bekam im Herbst 1912 von seinem dänischen Verlag Wilhelm Hansen den Auftrag, Musik für die tragische Pantomime von Poul Knudsen zu komponieren. Zur Jahreswende erhielt er ein neues Libretto, in dem sich zur Verblüfftheit des Komponisten auch Dialoge befanden. Sibelius mochte das nicht, aber beschloss dennoch den Auftrag auszuführen, obwohl die Arbeit vermutlich umfassender war, als er sich vorgestellt hatte: nicht nur ein paar Tanznummern, sondern eine durchkomponierte Pantomime.

Die Arbeit wurde im Dezember 1913 vollendet, aber den Zeitpunkt der Aufführung wusste niemand. So arrangierte Sibelius Anfang des Jahres 1914 Klavierfassungen aus ein paar Szenen. Sibelius vergaß die Partitur für mehrere Jahre, aber plante 1921 wieder, die wertvolle Musik in eine Orchestersuite umzuarbeiten. Die Suite wurde ihrerseits wieder vergessen, als das Königliche Theater in Kopenhagen endlich im Mai 1922 die Pantomime uraufführte. Die Kritiker lobten die „liebliche und merkwürdige“ Musik. „Die Musik der Aufführung war der beste Teil des Abends; sie hob die Stimmung an und brachte Würde“, schrieb „Berlingske Tidende“. Politiken war von dem „Stempel des Genies“, von den Ressourcen des Komponisten, von dem Dämon und von der seltsamen Perversität der Musik entzückt. „Scaramouche, ein großer Erfolg in Kopenhagen“, schrieb Sibelius in sein Tagebuch.

Im folgenden Jahr sah Sibelius das Werk am Nationaltheater in Helsinki. Die Kritiker mochten die expressionistische Ausführung, aber die gesprochenen, pantomimewidrigen Dialoge ärgerten auch sie.

In der Pantomime geht es um den buckligen Zwerg Scaramouche, dessen Viola anscheinend magische Kräfte hat. Er spielt und die schöne Blondelaine fällt in Trance, während die bezaubernd schöne Ehefrau inmitten eines großen Festes ihren Gatten, Leilon, verlässt. Sibelius schreibt dekadente Tanzrhythmen als Festmusik und die Viola von Scaramouche ertönt langsam und dämonisch in chromatischen Figuren.

Die Sehnsucht von Leilon wird in wunderschöner Musik geschildert, die Sibelius später in die wehmütige Scene d’amour für Violine und Klavier umarbeitete. Das Drama erreicht den Höhepunkt, wenn die bereuende Blondelaine Scaramouche tötet. Die Eheleute sind wieder zusammen und die Frau tanzt im Takt der Musik ihres Mannes, bis ein Blutstrom, der hinter dem Vorhang hervorquillt, sie erschreckt. Die Violamelodie des Scaramouche ist aus dem Grab zu hören, worauf Blondelaine vor Schrecken auf dem Leichnam des Scaramouche stirbt und Leilon bei diesem Anblick irrsinnig wird.

Scaramouche ist für ein kleineres Orchester geschrieben. Die geballte Kraft der Blechblasinstrumente wird nicht eingesetzt, aber andererseits spielt das Klavier eine wichtige Rolle. Überdies teilt der Komponist das Orchester gewandt in drei Elemente: ein Teil der Musiker auf der Bühne, dann die Hauptfigur, die zeitweise hinter der Bühne spielt, und natürlich das Orchester selbst. Die Musik ist transparent, vornehm, traumähnlich und dämonisch.

Scaramouche wurde in den 1920er Jahren oft aufgeführt, weil die Anziehungskraft der Musik so stark war. Der Pianist Wilhelm Kempff sah das Schauspiel in Kristiania (heute Oslo) und schrieb entzückt über sein Erlebnis. Die Dänen führten das Werk in Paris auf und auch dort kam die Musik gut an.

Der Komponist akzeptierte die Fassung für Orchestersuite von Jussi Jalas, die die ursprüngliche Orchestration beibehält und die Ereignisse der Pantomime in zwanzig Minuten zusammenpresst. Noch interessanter ist aber die ursprüngliche Musik von Scaramouche, die über eine Stunde dauert und die 1990 zum ersten Mal unter Leitung von Neeme Järvi in Göteborg aufgenommen wurde.