Nur wenigen großen Komponisten wurde so häufig wie Sibelius vorgeworfen, dass sie kleinformatige Musikstücke für Klavier und Violine komponiert hätten. Miniaturen, anstatt sich auf große Orchesterwerke, vor allem auf das Komponieren der Symphonien zu konzentrieren. Für Sibelius selber war es kein ästhetisches Problem, denn er stellte in seinem Tagebuch fest (16.5.1910): „Das Grosse und das Kleine müssen miteinander verbunden werden, die Symphonien und die Lieder.” Jedoch ist es absurd, einem professionellen Komponisten vorzuwerfen, dass er seine Werke komponierte, um Geld zu verdienen, wenn das für ihn die einzige Möglichkeit war, seine Familie zu versorgen. Was hätte er in seiner Situation tun sollen, da er für eine große Familie verantwortlich war? Nur Symphonien komponieren und seine Familie verhungern lassen?
Die meisten von denen, die Sibelius’ Klaviermusik kritisierten, waren Musikschriftsteller oder Kritiker. Die Pianisten dagegen, die sich intensiv mit der Musik selbst auseinandersetzten, lobten ohne Ausnahme den eigenständigen und wirksamen Klavierstil von Sibelius.
Die Pianisten dagegen von Ilmari Hannikainen bis Glenn Gould, Erik Tawaststjerna und Eero Heinonen haben den pianistisch originellen Schreibstil von Sibelius für eine interessante Herausforderung gehalten und stellten Sibelius’ Fähigkeit, sein Instrument zu beherrschen, niemals in Frage. Nach Gould hat „Sibelius nie gegen die typischen Eigenschaften des Klaviers geschrieben… … In seiner Klaviermusik ist alles praktisch, alles klingt – aber nach eigenen Regeln.“ Gould’s abschließende Aussage war absolut positiv: „Sibelius ist es gelungen einen bedeutenden Beitrag für das viel zu begrenzte Klavierrepertoire des spätromantischen Zeitalters zu schaffen.“ Nach Meinung von Eero Heinonen „gibt es sehr wohl technische Schwierigkeiten, aber der Klaviertext ist im Allgemeinen klangvoll und nuancenreich – kann aber mit keinem anderen Klavierstil gleichgesetzt werden.
Durch etliche unachtsame Äußerungen dürfte Sibelius seinen Kritikern Munition geliefert haben. Er sagte z. B. seinem Schüler Bengt von Törne (1937): „Ich komponiere in meiner Freizeit Klavierstücke… eigentlich interessiert mich das Klavier nicht, denn es kann nicht singen.“
Demgegenüber äußerte der Sekretär Santeri Levas (1960) „Sibelius selbst hatte eine ganz andere Auffassung von seinen Klavierstücken. Er schätzte sie sehr und hielt den Standpunkt der Musikwelt für ungerecht. … ‚Ich weiß, dass sie eine sichere Zukunft haben, ich weiß es ungeachtet dessen, dass sie in diesem Moment total in Vergessenheit geraten sind.’… Sibelius fügte noch hinzu, dass seine eigenen Klavierstücke vielleicht eines Tages genau so beliebt sein würden, wie die von Schumann.“
Was Sibelius Levas gegenüber äußerte, muss der Wahrheit nahe kommen. Sonst hätte Sibelius kaum das Klavier sein ganzes Leben lang als Werkzeug, als ein Instrument der Praxis, verwendet, mit dem er improvisierte und dadurch neue Ideen für seine Kompositionsarbeit bekam. Die pianistischen Fertigkeiten von Sibelius waren laut zeitgenössischen Zeugen beachtlich, denn er konnte mit seinen fantasiereichen Improvisationen seine Zuhörer faszinieren, obwohl er kein Berufspianist war. Außerdem wäre sein Benehmen ziemlich seltsam gewesen, wenn er das Klavier nicht gemocht hätte, aber dennoch auf „masochistische Art“ eine enorme Menge Musik komponiert hätte, in der das Klavier entweder das Soloinstrument oder ein Teil einer kammermusikalischen Komposition war. Es muss beachtet werden, dass Sibelius insgesamt über 150 Klavierwerke komponierte, von denen der größte Teil (ca. 115) mit Opusnummern veröffentlicht wurde und ca. 35 unveröffentlicht blieben. Außerdem schuf er ein paar Dutzend Arrangements seiner Orchesterwerke für Klavier; Lieder mit Klavierbegleitung gibt es ungefähr 110 und dazu kommen noch über fünfzig kammermusikalische Werke mit Klavier (für Violine und Klavier, Cello und Klavier, Klaviertrios und Klavierquartette, ein Klavierquintett). In mehr als der Hälfte von Sibelius‘ Kompositionen findet das Klavier Verwendung, insgesamt in ungefähr 350 Werken.
Wenn Gray der Meinung war, dass von den Klavierwerken, über die Bedeutungslosigkeit hinaus, keine Entwicklung festzustellen gewesen sei und dass die letzten Klavierkompositionen eindeutig schwächer als die früheren gewesen seien, dann ist Erik Tawaststjerna anderer Meinung. Nach ihm (1955) „sind viele Klavierkompositionen von Sibelius sowohl von der Formgestaltung als auch von der musikalischen Substanz her sehr bemerkenswert und ein für die Natur des Instruments gut passender persönlicher Klavierstiel ist charakteristisch für diese Werke. Die Ganzheit der Klavierkompositionen ist durch dieselbe allgemeine Tendenz gekennzeichnet wie die größeren Werke des Komponisten.“
Dieser Ansicht kann man sich anschließen. Sibelius’ Klaviermusik folgt, genau wie seine sonstige Produktion, der Stilentwicklung des Komponisten, die man in sechs Perioden einteilen kann. Die erste Periode ist die „Kammermusikperiode“ des jungen Sibelius (ca. 1881–1891), als er sich die klassisch-romantische Formen- und Ausdruckswelt aneignete. Während der zweiten, sogenannten „nationalromantischen“ Periode (ca. 1891–1902) wurde die Musik von Sibelius chromatisch und bildete eine interessante Synthese von mitteleuropäischen und finnischen Elementen aus. Während seiner dritten, „neoklassizistischen“ Periode (ca. 1902–1908) näherte Sibelius sich den klassischen Idiomen, obwohl auch Kalevala-Romantik und Symbolismus seine Produktion gekennzeichneten. In seiner vierten Periode, dem „modernen Klassizismus“ (ca. 1908–1919) entstanden Sonatinen und Rondinos. Zur selben Zeit erschienen impressionistische und expressionistische Tendenzen in der Musik. Die fünfte – seine letzte aktive Schaffensperiode (ca. 1919–1929) – war die Zeit „des synthetischen Universalstils“, in dem die durch die Verehrung der Antike entstandene Plastizität, modale Tonalität, der Naturmystizismus und die Tonmeditation, traditionelle Elemente und der radikale Modernismus in sich zusammenfließen. In der letzten Periode (1929–1940er Jahre) entstand nur wenig, aber dafür sehr originelle Musik.
Frühe Klavierwerke
Sibelius‘ Kompositionen der ersten Periode sind typisch gesellschaftliche und situationsbedingte Musik, die er für die Bedürfnisse seines Umfelds, seiner Geschwister und Freunde komponierte. Die Anzahl der Stücke wuchs in dem Maß, wie man begann, die Handschriften ernsthaft wissenschaftlich zu erforschen; beinahe alle von über 50 Klavierwerken aus dieser Periode sind unveröffentlicht. Hierher gehören auch Harmonie- und Themenübungen wie auch Sonatenfragmente.
Im frühesten Klavierwerk, auf das ein Datum gesetzt werden kann, Con moto, sempre una corda, gibt es eine Anmerkung „Minne af J. S. 1885“. Es ist pianistisch anspruchsvoll und abenteuerlich, ein Salonwerk, das den Charakter von Mazurka, Walzer und Scherzo kombiniert und prachtvolle, präzisierte Fermaten im Stil Liszt’s beinhaltet. Drei Klavierstücke (Sommer 1887) – Andante Es-Dur, Aubade und Au crépuscule – sind bezaubernde, möglicherweise auf Grund von Improvisation und symptomatischen Naturerlebnissen entstandene, farbenfrohe Fantasien. Aus demselben Sommer stammt das fünfteilige Werk Die Sehnsucht (Trånaden), das für Klavier und Sprecher geschrieben ist. Es dauert beinahe 20 Minuten und ist eines der umfangreichsten Klavierwerke von Sibelius. Es enthält eine eindrucksvolle Sturmszene und frühe Zeichen eines reifen Stils, wie in der Symphonie Nr. 5. Valse à Betsy Lerche (1889) ist ein spannendes, vielseitiges Werk, das der damaligen Angebeteten gewidmet war. In der Komposition werden die Phasen eines Liebesabenteuers geschildert: Die der Einführung „Introductionen“ folgenden Episoden heißen „douce“, „avec force“, „à la Betsy“, „avec passion“ – und „adieu!“. Das vierteilige, relativ umfangreiche Werk Florestan (1889) hat Einflüsse von Schumann. Das Niveau liegt zwischen leicht und ziemlich schwierig. Die Musik ist phantasiereich mit romantischen und „sibelianischen“ Elementen. In Berlin entstanden eine Menge von Sonatenexpositionen und ein Sonatenallegro in E-Dur (1889–1890), das sowohl pianistisch impressiv ist, als auch den zukünftigen Stil des Komponisten mit seinen harmonischen Pausen und seiner Naturbezogenheit, ankündigt.
Sechs Impromptus für Klavier (Kuusi impromtua pianolle) op. 5 (1890–93) In der ersten Periode (1891–1902) seiner Berufskarriere hat Sibelius sehr wohl an die Schaffung eines karelischen/karelianistischen Klavierstils denken können. In Sechs Impromptus für Klavier (Kuusi impromtua pianolle) (1890–93) kann man die Reise, die Sibelius in Karelien gemacht hat und auf der er traditionelle Volksgesänge sammelte, hören. In den Stücken sind Einflüsse von Kantele und ostfinnischen/karelischen Tanzmelodien zu erkennen. Man sollte sich daran erinnern, dass Sibelius das finnische Nationalinstrument spielen konnte und manche von seinen Kantele-Auftritten sogar dokumentiert wurden. Beweise seiner Vertrautheit sind Walzer/Berceuse für Violine und Kantele in e-Moll (1899) und zwei Stücke für Solokantele: Moderato a-Moll (1896–98) und Dolcissimo a-Moll (1897–98).
Impromptu Nr. 1, g-Moll (Moderato). Bescheidenes, klangvolles Eröffnungsstück, dessen Themateil für „ein musikalisches Symbol der Sibelius-Heimat, Finnland“ gehalten wurde (Ostrowsky).
Impromptu Nr. 2, g-Moll (Lento-Vivace). Nach den Eröffnungsklängen ist der Trepak-Tanz zu hören, dessen Zwischenteil schnell (Più vivo) und in G-Dur ist.
Impromptu Nr. 3, g-Moll (Moderato/Alla marcia). Ein märchenhafter Marsch, der etwas an Grieg erinnert und dessen mittleren Satz Sibelius besonders mochte. Ernst Lampén berichtet: „Sibelius hatte gerade seine sechs Impromptus komponiert… Er spielte sie auf dem Klavier und spielte immer wieder den mittleren Teil des 3. Impromptus, dessen Motto dolcissimo ist. Sibelius war äußerst zufrieden, speziell mit dieser Stelle, uns hat sie auch sehr gefallen und wir wurden nicht müde sie anzuhören. Seine Musik war damals neu und fremd, aber diese Impromptus haben wir sofort begriffen und sie enorm genossen.“
Impromptu Nr. 4, e-Moll (Andantino). Ein auf Wechsel und Wiederholung von zwei Themen beruhendes melancholisches Märchen. Man soll der Nachahmung des zweiten, zuerst im Diskant mit der linken Hand gespielten Themas, Aufmerksamkeit schenken.
Impromptu Nr. 5, h-Moll (Vivace). Hier handelt es sich um lauten-, harfen- oder kanteleartige, sprudelnde Arpeggiomusik, die an Liszt’s Klavierstück Die Springbrunnen von Villa d’Este (Les jeux d’eaux à la Villa d’Este) erinnert. Dieses Stück wie auch das folgende sind Arrangements aus dem Melodram aus „Nächte der Eifersucht“ (Melodram ur Svartsjukans nätter) (1888).
Impromptu Nr. 6, E-Dur (Comodo). Ein entzückend schaukelnder Salonwalzer, dessen letztere Hälfte in e-Moll übergeht.
Sonate F-Dur, op. 12 (1893).
Uraufführung am 17. April 1895 in Helsinki, Oskar Merikanto. An der einzigen Klaviersonate von Sibelius wurde oft bemängelt, dass sie ein Klavierarrangement eines Orchesterwerks sei. Aber nach Ansicht des Mitbegründers der finnischen Klavierschule, Ilmari Hannikainen, der Schüler des russischen Meisterpianisten Aleksandr Siloti (seinerseits ein Schüler von Liszt) war, ist „die Klaviersonate in F-Dur eine hervorragende Komposition. Frisch und voll von Leben… Ich habe manchmal über den orchesterartigen Klang der Sonate reden hören (von Tremoli mit der linken Hand)… Meines Erachtens kommt der echte Sibelius-Klavierstil in der Sonate hervorragend zum Tragen. Hier handelt es sich überhaupt nicht um Tremoli, sondern alles, was so aussieht, muss tatsächlich als Achtelnoten, Sechzehntelnoten gespielt werden, wie z.B. in Beethovens Klaviersonaten… … Die F-Dur Sonate ist, wenn gut und sorgfältig geübt und vorgetragen, eine wirkliche Virtuosennummer.“
1. Satz (Allegro Molto). Der Eröffnungssatz ist wuchtig orchestral, geradezu brucknerisch und erinnert an die Musik von Kullervo, Eine Sage (En Saga, Satu) und Karelia. Hier spielen Orgelpunkte, Tremoli und Ostinati eine bedeutende Rolle. Karelianistische Klaviermusik von Sibelius.
2. Satz (Andantino). Das dreimal sich wiederholende Hauptthema beruht auf dem unvollendeten Männerchorgesang im b-dorischen Modus Stau‘, o Sturz, dein Überschäumen (Heitä, koski, kuohuminen) (40. Gedicht im Kalevala). Die Musik ertönt aufbauschend und in singender Traurigkeit. Zwei Mal (cis- und f-äolischer Modus) wird sie durch einen leise klingenden Kantele-Tanz (presto) unterbrochen.
3. Satz (Vivacissimo). Dieser Satz ist ein auf dem Wechsel von einem Trepak-rhythmischen und einem lyrischen Thema beruhendes stürmisches Finale, dessen Bewegungsenergie wild ist. Die zweite Forte-Wiederholung des lyrischen Themas in der zweiten Hälfte führt den Satz zu einem mächtigen Ende. Sibelius hat auf alle Fälle einen originellen und virtuosen Karelien-Stil in seiner Sonate geschaffen und es fällt nicht leicht, für sie Vorbilder zu finden; möglicherweise geistern Grieg und Tschaikowski im Hintergrund.
Zehn Klavierstücke op. 24 (1895-1903)
Das im Laufe eines langen Zeitabschnitts entstandene, etwas heterogene Opus beinhaltet die vielleicht populärsten und am meisten gespielten Klavierstücke von Sibelius. In diesem Opus entwickelt Sibelius das karelische Idiom eigentlich nicht weiter, sondern verbindet es mit einem eindrucksvollen und mehr traditionell romantischen Klavierstil. Das Ergebnis ist dennoch spannend und einzigartig.
Nr. 1, Impromptu, g-Moll (Vivace; 1895). Das ungezähmte und dramatische Impromptu setzt sich einigermaßen in derselben Szenerie fort wie Opus 5 und fügt an Schubert’s Erlkönig assoziierende Progressivität an und die Schicksalhaftigkeit der Orchesterballade Die Waldnymphe (Skogsrået) (1895). Das Werk kündigt stellenweise auf eine interessante Art Valse triste (1904) an.
Nr. 2, Romanze (Romans), A-Dur (Andantino; 1895). Dies ist eine dramatische (Liebes)szene, in der am Anfang ein Duett zwischen einem Diskant und einer Zwischenstimmlage zu hören ist. Der Ausdruck des Satzes ist orchestral, sogar wagnerisch, obwohl dessen Höhepunkt auch an den Orchesterstil von Brahms erinnert. Dies ist der weiteste Teil dieses Werkes. Seinerzeit war es Repertoirestück von Siloti.
Nr. 3, Kaprice (Caprice), e-Moll (Vivace; 1898). Ein Virtuosen- und Lieblingsstück der Violintechnik, das sogar an Paganini erinnert und das auf Repetitionen, Oktaven, Arpeggien und schnellen Skalenfiguren beruht. Als Ausgleichgewicht ist in der Mitte eine einfache, volkstümliche Melodie zu hören, die wegen ihrer synkopierenden Begleitung mit dem Lied Rudere, rudere, blaue Ente (Souda, souda, sinisorsa) in Verbindung gebracht werden kann.
Nr. 4, Romanze (Romance) d-Moll (1895).
Nr. 5, Walzer (Valse), E-Dur (Vivace; 1898?). Ein von Klavierstudenten favorisierter Walzer, der an Chopin erinnert und dessen Spezialität im Hauptabschnitt eine gegen den Walzerrhythmus streitende Begleitung ist, die in 2/4-Taktart mit der linken Hand gespielt wird.
Nr. 6, Idyll (Idylli), F-Dur (Andantino; 1898?). Der erste und letzte Abschnitt sind in weich schaukelndem 6/8-Takt, der an Chopin’s Ballade in F-Dur erinnert. In der Mitte des Stückes bricht ein heftiger Sturm aus, in dem die rechte Hand ein virtuoses Solo nachahmt. In der späteren Fassung (1904) steht der mittlere Satz teilweise um eine Oktave niedriger.
Nr. 7, Andantino, F-Dur (1899). Dies ist eine ansteckend melodische Miniatur, die sehr gut auch als Streichorchesterarrangement vorliegen könnte. Von diesem Werk gibt es auch eine zweite, ziemlich ähnliche Fassung (1899).
Nr. 8, Nocturno, e-Moll (Andante; 1900). Dieses Werk enthält eine pathetische, celloartige Melodie, die zu einem prachtvollen Höhepunkt ansteigt. Das Werk wäre auch sehr gut für Streichorchester geeignet.
Nr. 9, Romanze (Romance), Des-Dur (Andantino; 1901). Die finnischen Pianisten lieben dieses Werk, das melodisch ein blühender Volltreffer ist, der gleichzeitig an seinem Höhepunkt ein seltenes Beispiel von einem echten Virtuosenstück à la Liszt in der Klavierproduktion des Komponisten darstellt.
Nr. 10, Barcarola (1903).
Kyllikki. Drei lyrische Stücke op. 41 (1904)
Dieses Werk ist vielleicht die hochwertigste mehrteilige und umfangreiche Klavierkomposition von Sibelius. Ein sicherer Zusammenhang mit dem Kalevala besteht nicht, aber die Komposition lässt sich sehr leicht mit Bezug auf das Kalevala analysieren und interpretieren. Das Werk kann als ein Triptychon angesehen werden, als drei aufeinanderfolgende Gemütszustände der Hauptperson. Sogar die bittersten Kritiker von Sibelius haben zugegeben, dass das Werk vorzüglich ist. Vor allem Glenn Gould, der das Werk auf Schallplatte aufgenommen hat, schätzte es trotz seiner quasivirtuosen und traditionellen Einschränkungen und hielt es für eine bedeutende Bereicherung des Klavierrepertoires. Kyllikki kann als die Haupt- und Abschlussarbeit der Kalevala-Periode von Sibelius angesehen werden.
1. Satz: Largamente-Allegro. Die Allegro-Episode, die nach der schweren Einleitung folgt, zeigt einen männlich kriegerischen Klavierstil, dessen Verbindung zu dem von Lemminkäinen ausgeführten Raub von Kyllikki offensichtlich ist. Das Hauptthema erinnert an die Einleitung von Beethoven’s Waldstein-Sonate und seine lyrische Variante nimmt den Platz des normalerweise zweiten Themas ein. Das Wahrnehmen der traditionellen Form gestaltet sich jedoch schwierig, denn das Hauptaugenmerk liegt auf den mächtigen, klangvollen, sich in Gegenbewegung befindenden Oktavenläufen, die die Repetition sehr brutal einführen. Das Pesante am Ende ist eine gnadenlosere Version als das eröffnende Largamente, während das b-dorische Des-Dur zum Cis-Dur gewechselt hat.
2. Satz: (Andantino). Das Werk bietet in seinem Rahmen eine melancholische Seelenlandschaft mit einem stabilen Hauptthema, das sowohl den Tonika- (b) als auch den dominanten Orgelpunkt (f) beinhaltet. Das Thema ist in Dezimen verdoppelt. In der Mitte des Werkes hellt die Musik sich für einen Augenblick zu einer Art Nocturne auf, das ein wehmütiges „adieux“-Motiv (wie in Beethoven’s Sonate Les adieux) enthält, steigt dann zu einem überraschend eindrucksvollen Höhepunkt auf, bis sie wieder in die nachdenkliche Gemütslage (von Kyllikki) verfällt.
3. Satz: (Comodo). Das Finale wurde manchmal als Abschluss zu leicht und kurz gefunden – im Vergleich zu den „tieferen“ vorangehenden Sätzen. Die Funktion eines klassischen mehrteiligen Schlusssatzes ist es, eine bewegliche, oft tanzrhythmische Entspannung und Zurückgezogenheit zu erzeugen. Der „polska“-artige Rhythmys des Finales passt gut zu der Gesamtheit des Werkes und ist programmatisch mit dem unerlaubten Tanzvergnügen Kyllikki’s verbunden. Außerdem verbindet die kontrastierende Tranquillo-Episode den Satz mit der ernsteren Natur des vorangehenden Satzes. Im Finale kann man auch eine pastorale Helligkeit sehen, die die leichtsinnige Fröhlichkeit ins Gleichgewicht bringt, in dem Fall, dass man es für zu leicht hält.
Zehn Klavierstücke op. 58 (1909)
Wenn Kyllikki Sibelius’ Kalevala-Romantik (1. und 2. Satz) und die klassischere Orientierung (die tänzerische, spielende Natur des 3. Satzes, „jeu“) verbindet, stammen die Zehn Klavierstücke (1909) dagegen aus der Mitte der modernen, introvertierten und experimentellen Periode von Sibelius. Die konventionellen Elemente treten immer noch ab und zu hervor, denn Sibelius gab die Romantik nie ganz auf. Nach der Symphonie Nr. 3 trat der klassische Zug immer dominanter hervor. Die wesentlichen Faktoren in op. 58 sind die neue polyphon-linearische Schreibweise, die sparsamen und graphischen Texturen, der dichte und konzentrierte Ausdruck sowie die experimentelle Harmonie mit ihren spannenden Dissonanzen. Die Musik ist mutig und vorurteilsfrei und kann nur mit äußerster Bosheit als Salon- oder Hausmusik abgestempelt werden. Die Musik fordert sowohl den Verstand des Musikers als auch die Technik seiner Finger heraus. Sibelius war sich dieses Fortschritts bewusst, denn er schrieb in sein Tagebuch (28.9.1909) das Gefühl zu haben, dass „die Technik hier besser wäre, als in anderen solchen Stücken“.
Ilmari Hannikainen verstand früher als viele andere die Einzigartigkeit des Werkes. Er schrieb 1935: „10 Klavierstücke op. 58 ist meine neueste große Entdeckung und Entzückung. Die ganze Suite ist wie ein Perlenkollier, in dem jede Perle wie ein helles Licht leuchtet. Und der Stil dieser Stücke! Sibelius ist immer Sibelius vom Anfang bis zum Ende, aber mit op. 58 beginnt er irgendwie einen vollkommen neuen Klavierstil, der – von Ähnlichkeit kann hier nicht gesprochen werden – wie ein Geistesverwandter des letzten Stils von Beethoven ist. Das erste Stück, Rêverie (Unelma) ist eine der hellsten Perlen in diesem kostbaren Kollier.“ Auch Joonas Kokkonen war einer, der sich mit dem neuen Stil bekannt gemacht hatte, als er fragte (1955): „wer, außer Sibelius, schrieb zu der Zeit im zweistimmigen polyphonen Klavierstil, behandelte das Instrument melodisch-linear, schuf eine lyrische Stimmung mit äußerst vereinfachten und dennoch effektiven Mitteln?“
Nr. 1, Rêverie (Unelma) (Lente). Schon der französische Name (Traum) und die Anführungsanweisung erzählen von dem impressionisch-expressionistischen Ausgangspunkt (Debussy, Skrjabin). Das erste Stück ist aufregend modern. Die hauptsächlich zweistimmige Textur basiert auf der bedeutenden Eigenständigkeit der Hände: als Gegenstück für die celloartige, aufsteigende Melodie der linken Hand sind die sich auflösenden Sextolenrhythmen und die tonalen Hinweise; die Stimmung ist geheimnisvoll und rätselhaft. Obwohl der mittlere Teil und die komplexe Reprise auch konventionellere Elemente beinhalten, befriedigt die Ganzheit sowohl die musikalische als auch die intellektuelle Neugier des Zuhörers sowie sein Bedürfnis nach Neuem.
Nr. 2. Scherzino (Con moto). Dieses Stück beeindruckt auf spannende Weise mit seiner Bimodalität und seiner Lebhaftigkeit. In dem Stück gibt es, so der Komponist, „etwas von dem Charakter des Benvenuto Cellini“ – Beweglichkeit und Launenhaftigkeit des Renaissancekünstlers.
Nr. 3. Air varié (Andante). Dieses Stück ist eine große Errungenschaft mit seinen tonalen Abenteuern und seinen nordischen Begrüßungen an Bach: die zweistimmige Inventionartigkeit mit ihren rhythmischen Überraschungen und mit den Überraschungen auf der Tonebene macht aus dem Stück beinahe ein neoklassisches Freudenfest.
Nr. 4. Der Hirt (Paimen) (Vivacetto). Der Hirt (Paimen) ist ein flottes neoklassisches Stück, das Unschuld im Geist des französischen Barocks im 18. Jahrhundert beinhaltet. Als Spezialität gibt es in der Mitte des Stückes ein begleitendes, sich in 2/4-Taktart wiederholendes Ostinato, das im Kontrast zu der ¾-Taktart steht. Es erinnert an den Teil Passepied von Debussys Suite bergamasque.
Nr. 5. Des Abends (Ilta) (Andantino). Der Name Des Abends (Ilta) weist auf Schumann hin, und der Komponist stellte auch fest, dass dieses „mein bestes Stück ist, auf die Stimmung bezogen.“ Die scheinbare Einfachheit verbirgt unerwartete Wechsel der Tonart in sich.
Nr. 6. Dialogue (Dialogi) (Allegro grazioso). Ein Dialog zwischen dem Bass und dem Diskant, der durch überraschende Tonartgebiete streift.
Nr. 7. Tempo di Minuetto. Nach dem Komponisten ist das Stück „es-Moll und Melancholie im Stil der vergangenen Zeiten“. Sibelius setzt hier die brütende Menuettkunst und die spieldosenartige Textur einander gegenüber. Das geniale Stück hat einen entfremdeten Charakter und es mag nostalgische Gedanken des Komponisten an irgendeinen seltsamen Augenblick reflektieren.
Nr. 8. Fischerlied (Kalastajalaulu) (Allegretto). Im Fischerlied hält die gut eingeleitete, lange Begleitfigur mit der linken Hand die italienische Melodik hoch, in der auch harfenartige Arpeggiofiguren zu hören sind.
Nr. 9. Ständchen (Serenadi) (Moderato). Ähnliche Entfremdung wie im Tempo di Minuetto (Nr. 7) kann man auch in dieser Serenade finden, denn in der Mitte „stören“ die violinistischen Triller mit der rechten Hand die ruhige Stimmung, die für diese Art von Musik typisch ist.
Nr. 10. Sommerlied (Kesälaulu) (Largo). Das Sommerlied mit seiner Tonart Es-Dur ist voll von festlicher, sogar religiöser Stimmung. Die choralähnliche Melodie wird mit üppigen Akkorden begleitet.
Drei Sonatinen für Klavier, op. 67. Zwei Rondinos für Klavier, op. 68 (1912)
Sibelius neuer, moderner Klassizismus vertieft sich durch die Sonatinen und Rondinos deutlich. Die Tendenz der Zeit war das allgemeine Streben zum Neoklassizismus, was auch in der Klaviersonatine von Ravel (1903–1905) sowie in den Sonatinen von Reger (1905-08) und Busoni (1910-21) zu erkennen ist. Die Stücke von Sibelius, deren Ziel die Neubelebung des Klassizismus war, waren retrospektiver als die anderen zeitgenössischen Stücke und sein eigentümlicher Klassizismus lag meistens weit weg von den Kubismen des Neoklassizismus (Bach mit „falschen“ Bässen, kapriziöse, gebrochene Rhythmen). Die Sonatinen und Rondinos sind die ersten Stücke „des reinen Wassers“ von Sibelius an Stelle der „Cocktails“, die die Zeitgenossen anboten; sie sind konzentriert und bündig, aber gleichzeitig inhaltlich gewichtig – kurz gesagt klassisch.
Sonatine Nr. 1, fis-Moll. 1. Satz [Allegro] Ein konzentrierteres und edleres Thema kann man lange suchen. Es ist von kurzer Dauer, aber führt zu einem spannend chromatischen Thema, das zur Dominante der Haupttonart kadenziert, zum cis-Moll. In der nächsten Phase bezieht das chromatische Thema in sich auch das Triolenmotiv des Hauptthemas ein. Es gibt keine eigentliche Grenze zwischen der Vorstellungs- und Entwicklungsphase, aber der Zuhörer bemerkt die Reprisephase daran, dass das Hauptthema auf die ursprüngliche Höhe zurückkehrt.
2. Satz, Largo. Der langsame Satz baut auf das zweimalige Erscheinen des singenden violenartigen Themas auf; beim zweiten Mal erklingt es eine Oktave höher und ist wie ein andächtiger Choral harmonisiert. Der Satz wird mit einem Akkord in Fis-Dur beendet, eine picardische Modifikation der Haupttonart.
3. Satz, Allegro moderato. Im letzten Satz ist unter dem orchestral-violinistischen Oktaventremolo mit der rechten Hand ein kurzes, verspieltes Motiv zu hören. Die Seitenphasen werden von einem Dur-betonten, freudigen Motiv geprägt, zuerst in G-Dur und zum Schluss in Fis-Dur, das auch die optimistische Schlusstonart der Sonatine bleibt.
Sonatine Nr. 2, E-Dur. 1. Satz, Allegro. Sibelius’ Zuneigung zu Bach ist in diesem fröhlichen Werk deutlich zu erkennen. Eine Imitation und ein Wechsel der Stimmen beginnen den Satz und sie sind auch in der Fortsetzung zu hören. Wichtiger als das Seitenthema und die Grenzstelle der Einführung (die dennoch zu finden sind, wenn man danach sucht) ist die elliptische Form, Trübung der Grenzstellen und vor allem das unaufhörliche polyphonische Spiel.
2. Satz, Andantino. Eine doppelte Melodie ist wieder zu hören, jetzt im Celloregister, wenn gleichzeitig die Begleitfiguren der hohen Stimmen auf dem klaren Himmel blinken. Vor der Reprise sind ausdrucksvolle Intervalle mit kleinen Nonen zu hören.
3. Satz, Allegro. Die tänzerische Diatonik des Themas in E-Dur bietet im Finale reine Freude. Dieses Mal ist das Finale zweiteilig, eine frühklassische Sonatenform.
Sonatine Nr. 3, b-Moll. Die Sonatine in B-Moll ist eines der wichtigsten Experimente von Sibelius, um die mehrteilige Form zu konzentrieren, um die Teile zu verbinden und um das gleiche Material zum thematischen Stoff für verschiedene Teile zu bearbeiten. Die Sonatine ist ein Vorgänger der meisterhaften Fusionsformen des ersten Satzes der Symphonie Nr. 5 und der Symphonie Nr. 7. Die Sonatine hat drei hypothetische Sätze, von denen die zwei letzten zusammengewachsen sind, und schon der Eröffnungssatz bereitet auch die Elemente des Schlusssatzes vor. Der erste Satz und die zweite Hälfte des zweiten Satzes folgen der frühklassischen Sonatenform, in der die Form sich in ungefähr zwei gleich lange Hälften teilt. Die Sonatine ist ein vollkommener Beweis für Sibelius’ meisterhafte Beherrschung der Form.
1. Satz, Andante-Allegro moderato. Die kurze Einleitung in sechs Takten stellt schon das Hauptthema der Sonatine vor, den Melodienlauf des-f-c-f-b. Die Phase Allegro moderato fügt das Aufwärts-Arpeggio und die Triolenornamente hinzu.
2. Satz, Andante-Allegretto. Die erste Hälfte, Andante, formt das singende Thema des Eröffnungssatzes zum Trauermarsch um, stellt die 1/16-Figur der Schlussphase vor und beinhaltet eine rätselhafte zweistimmige, sich in die Stimmenregister weiterrückende Gegenbewegung, die wie eine homage à Beethoven ist und sich in der Allegretto-Phase wiederholt. Allegretto basiert auf der Siciliano-Charaktermodifikation des Hauptthemas.
Rondino Nr. 1, gis-Moll (Andantino). Das erste Rondino, das fragende Pausen und spürbare Seufzmotive beinhaltet, ähnelt dem unbekannten, vor kurzem gefundenen „Valse oubliée“ von Liszt.
Rondino Nr. 2, cis-Moll (Vivace). Die Dezimentremolos der rechten Hand machen einen violinistischen Eindruck. Sonst steht das zweite Rondino dem gerade modischen Neoklassizismus nahe, denn es beruht auf dem fidelen Polka-Rhythmus und beinhaltet einige spritzige Dissonanzen. Die Musik von Poulenc und Prokofjew kommt diesem selten freudenreichen Stück von Sibelius ziemlich nahe.
Bagatelles für Klavier op. 34 (1913-16); Pensées lyriques für Klavier op. 40 (1912-16)
Sibelius’ zwei Sammlungen mit je zehn Stücken könnten leicht als leichte und „wertlose“ Hausmusik, wie sie charakterisiert worden sind, ignoriert werden. Guy Sacre, der das große französische Klaviermusikwörterbuch (La musique de piano, 1998) verfasst hat, zählt jedoch diese Sammlungen „zu den besten Werken von Sibelius; sie bilden zusammen eine Art von Jugend-Album, das angenehm für die Finger und das Gemüt eines jungen (oder auch älteren!) Pianisten zu spielen ist, wenn sie prima vista üben“. Obwohl diese Opera keine bedeutenden Werke von Sibelius beinhalten, sind sie dennoch phantasiereiche und hervorragende Stücke, und zumindest ein finnischer Klavierschüler möchte sie nicht missen. Viele von den Stücken sind entzückende Huldigungen an die Klaviermusik von Chopin, Schumann, Liszt und Tschaikowski.
Walzer, (Valse) op. 34, Nr. 1 (Con moto; 1914). Dieser Walzer ist wie ein Miniaturstück von Chopin, eine vortreffliche vorbereitende Übung für die anspruchsvolleren Werke des Großmeisters. Die explizite Fermate am Schluss ähnelt dem Minutenwalzer von Chopin.
Tanzweise (Air de danse, Tanssisävelmä) op. 34, Nr. 2 (Allegretto, 1914). Ein hinreißender Gavotti-Pastiche.
Neckerei (Boutade) op. 34, Nr. 5 (Con moto, 1914). Ein Einfall, der etwas an Chopin erinnert und in dessen ppp-Walzerepisoden der Hauptton der Melodie immer dissonierend im Hinblick auf die Begleitung ist.
Der Harfenspieler (Jouer de harpe, Harpunsoittaja) op. 34, Nr. 8 (Stretto-Lento e dolce, 1916). Der Harfenspieler ist ein feines Werk mit Arpeggien, das dem Werk Der Barde (Bardi, 1913-1914) nahe steht.
Reconnaisance (Jälleennäkeminen) op. 34, Nr. 9 (Vivo, 1916). Dieses attraktive Stück ist eine Verbeugung in Richtung von Schumann. Es beruht auf wechselnder Repetition mit beiden Händen.
Menuetto, op. 40, Nr. 4 (Grazioso, 1913). Dieses Stück ist ein echter Rokoko-Tanz.
Berceuse, op. 40, Nr. 5 (Andantino, 1913). Dieses „Wiegenlied“ ist eine kleine melodische Perle, von dem auch eine Fassung für Orchester existiert. Der Komponist litt sehr, als er ein „Kaffeehaus“-Arrangement dieses Stückes hören musste.
Rondoletto, op. 40, Nr. 7 (Allegretto, 1914). In dieser Wiener Polka im mäßigen Tempo finden sich schmackhafte harmonische Abweichungen von der Haupttonart.
Polonaise, op. 40, Nr. 10 (Alla polacca, 1916). Jeder Klavierstudent liebt diese aristokratische und angemessen pompöse Festpolonäse.
Vier lyrische Stücke op. 74 (1914)
Es mag so aussehen, dass Sibelius inmitten seiner dunklesten Schaffensperiode, die durch Abstinenz von Alkohol und Zigarren geprägt war, „zu viele“ Miniatursuiten schrieb. So haben viele Autoren sich damit zufrieden gegeben, die Klavieropera 74–99 (1911–1922) einfach als ein Bündel zu betrachten und von ihnen, ohne sie zu analysieren, als einen Haufen von „wertlosen“, „trivialen“ oder „nur wenig lohnenden“ Stücken zu sprechen. So wurden jedoch gleichzeitig Qualitätswerke von Sibelius übergangen. Zum Beispiel ist op. 74 eindeutig eine der besten Klaviersuiten von Sibelius. Guy Sacre hat ganz richtig festgestellt, dass sie „rührend und poetisch“ sei und als Ganzheit eine Sammlung, die es wert ist, erhalten zu bleiben.
Nr. 1, Ekloge (Paimenlaulu) (Andantino). Der reine und unschuldige Klassizismus des Stückes ist entwaffnend.
Nr. 2, Sanfter Westwind (Lempeä länsituuli) (Con moto). Sanfter Westwind ist eines der bezauberndsten Klavierstücke von Sibelius, das vielleicht Züge von Debussys L’isle joyeuse und vom Geist der Sonatine von Ravel aufweist und in Richtung von Die Okeaniden (Aallottaret) (1914) weist.
Cinq morceaux op. 75 (1914-19)
Die „Baumsuite“ von Sibelius ist einer der feinsten Beweise von Sibelius’ sensitiver, pantheistischer Art zu empfinden; zu ihm „sprechen die Bäume“. Der Riesenerfolg des Opus spricht für sich.
Nr. 1, Wenn der Sperberbaum blüht (När rönnen blommar, Kun pihlaja kukkii) (Allegretto, 1914). Dieses Stück erinnert an Klavierlieder von Tschaikowski. Es ist „chanson triste“ oder „chanson sans paroles“.
Nr. 2, Die einsame Fichte (Den ensamma furan, Yksinäinen honka) (Grave, 1914). Dieses Stück ist ein beinahe sakral standhaftes Werk, das in seiner Entstehungszeit als ein Symbol für Finnland interpretiert wurde, das unnachgiebig den schneidenden Ostwinden standhielt.
Nr. 3, Die Pappel (Aspen, Haapa) (Andantino, 1914). Die Pappel atmet rätselhaften Impressionismus. Die Töne des Baritonregisters mit der linken Hand und die knappen Begleitakkorde der rechten Hand sind nordisch in ihrer Zurückhaltung.
Nr. 4, Die Birke (Björken, Koivu) (Allegro, 1914). Die Birke ist der Lieblingsbaum der Finnen, „so weiß steht sie da“. Die zwei ersten Strophen des Stückes sind in B-mixolydischem Modus und schaffen den minimalistisch-feldartigen Eindruck mit dem Ostinato der linken Hand. Der Misterioso-Schluss des Werkes, die dritte Strophe, bleibt merkwürdig offen: die Tonleiter weist auf As-mixolydische Richtung hin, aber es kann auch so interpretiert werden, dass sie in die Richtung des Des-Zentrums strebt. Das Rätsel bleibt ungelöst, denn unter dem abschließenden, offenen as-es-Akkord erscheint ein tiefer des-Klang.
Nr. 5, Die Tanne (Granen, Kuusi) (Stretto-Lento; 1919). Die Tanne ist ohne Zweifel ein Hit von Sibelius, ein mit Valse triste vergleichbarer, langsamer Walzer, in dem die schnellen Arpeggien in der Risoluto-Episode einen schwindelerregenden Eindruck erzeugen.
Treize morceaux pour piano, op. 76 (1911-19)
Diese Suite ist als Ganzheit ungleichmäßig, aber beinhaltet einige Volltreffer. Viele sind kurze und einfache Stücke, aber unter ihnen gibt es auch wichtige Werke. Nach Erik Tawaststjernas Meinung „beinhaltet das Opus eine Menge von Sibelius’ feinsten Miniaturen“.
Nr. 2, Etude (Leggiero, 1911). Diese violinistische Etüde ist eine beliebte technische Übung der Pianisten, die sogar neue Geschwindigkeitsrekorde zu erreichen versuchen. Das Für Elise von Sibelius.
Nr. 9, Arabesque (Vivacissimo, 1914). Dieses Stück ist in seiner schnellen Beweglichkeit und Leichtigkeit mit den Etüden von Liszt verwandt.
Nr. 11, Linnaea (Andantino con moto, 1918). „Das Moosglöckchen“ war Linnés Lieblingsblume, für Sibelius ein Symbol der Poesie.
Nr. 12, Capriccietto (Vivace, 1914). Dieses ist ein tonal wanderndes, spannendes Stück, das sein g-Moll fast bis zu den letzten Takten erfolgreich meidet.
Nr. 13, Harlequinade (Commodo, 1916). Ein kapriziöses, wechselhaftes Werk, das man mit den kürzesten Präludien von Debussy vergleichen kann (z. B. Minstrels).
Cinq morceaux op. 85 (1916-17)
Sibelius hatte ja schon seine „Baumsuite“ geschrieben und danach war die entsprechende, positiv auffallende „Blumensuite“ an der Reihe.
Nr. 1. Bellis (Kaunokki) (Presto, 1917). „Gänseblümchen“ ist ein spieldosenartiges und virtuoses Blumenstück auf der weißen Tastatur und vom Stil her Salonmusik.
Nr. 2. Oeillet (Neilikka) (Con moto, 1916). „Die Nelke“ ist eine Erinnerung an einen Ball. „Es ist die hinreißendste und glanzvollste von Sibelius’ Miniaturen im Walzerrhythmus“ (Erik Tawaststjerna). Die Variation in as-Moll in der mittleren Periode macht die Stimmung etwas dunkler.
Nr. 3. Iris (Iiris) (Allegretto e deciso, 1916). „Die Schwertlilie“ ist eine bereichernde, anspruchsvolle Aufgabe für einen Pianisten. Das Werk ist ernsthaft und poetisch in seiner Zerbrechlichkeit und Entschiedenheit.
Nr. 4. Aquileja (Akileija) (Allegretto, 1917). Das Stück repräsentiert den zweckhaften Biedermeier-Stil wie bei Edward MacDowell.
Nr. 5. Campanula (Kellokukka) (Andantino, 1917). Die Glockenblume klingt in ihren Appoggiaturen und bietet ein klares, glänzendes Finale.
Sechs Klavierstücke op. 94 (1914-19). Sechs Bagatellen op. 97 (1920). Huit petits morceaux (Kahdeksan pientä pianokappaletta) op. 99 (1922)
Mit diesen drei „Butterbrot“-Suiten kommt Sibelius der französischen praktischen Kompositionsästhetik und damit Satie und Poulenc nahe. Sibelius befasste sich auch mit Tanzpastichen im selben Geist wie so viele seiner Vorgänger und seiner Zeitgenossen: Grieg, Paderewski, Rahmaninov, Prokofjew und so weiter. Die Texturen sind knapp, aber stilvoll und durchsichtig.
Novellette (Novelletti) op. 94, Nr. 2 (Allegro, 1914). Das Stück erinnert an Beethovens Bagatellen, Schumanns Novelletten und an die Karelia-Suite von Sibelius.
Mélodie (Sävelmä) op. 94, Nr. 5 (Largamente-Andantino, 1919). Die Melodie ist stellenweise reichlich mit Dezimen der linken Hand begleitet und das Klaviergewebe klingt wie bei Schumann oder Brahms.
Gavotte op. 96, Nr. 6 (Allegro moderato, 1919). Dieses Stück ist eine echte Gavotti-Stilisierung (Hofballett des französischen Barocks).
Lied (Laulu) op. 97, Nr. 2 (Andantino, 1920). Dieses ist ein zartes Lied, das an Grieg erinnert und das zum Beispiel auch zum Repertoire von Emil Gilels gehörte.
Humoristischer Marsch (Humoristinen marssi) op. 97, Nr. 4 (1920). Der Stil des Stückes erstreckt sich von Beethoven über Schumann auf Prokofjew.
Animoso op. 99, Nr. 6 (1922). Ein Reiterstück à la Schuhmann.
Petite marche (Pieni marssi) op. 99, Nr. 8. Dieses Stück hat etwas Orientalisches an sich und es zeigt auch Züge der Symphonie Nr. 7.
Five Romantic Compositions (Viisi romanttista kappaletta) op. 101 (1923-24)
Nach den leicht impressionistischen Baum- und Blumensuiten (op. 75 und 85) und den ballettartigen (auf französische Art) und neoklassischen Charakter- und Tanzsammlungen (op. 76, 94, 97, 99) intensivieren Sibelius’ drei letzte Klavierstücke (op. 101, 105, 114) seine Naturerlebnisse. Anstatt des dünnen und raffinierten Klaviergewebes sind die letzten Klavierwerke durch eine orchestrale Sonorität und eine Nähe zur Symphonie Nr. 6 und 7 geprägt. „Die lineare Art hat Platz für die massivere, üppigere Behandlung des Klaviers machen müssen“ (Erik Tawaststjerna). Die fünf romantischen Stücke „könnten als eine Suite gespielt werden“, sagte der Komponist – d. h. dass Sibelius in seinen letzten Opera zu konzentrierterer Verbindung der Kompositionen strebt als in seinen früheren heterogenen Sammlungen.
Nr. 1. Romance (Romanssi) (Poco con moto). Diese Romanze ist ein harmonisch mutigeres Werk als die früheren Romanzen, vgl. op. 24.
Nr. 2. Chant du soir (Iltalaulu) (Andantino). Dieses Abendlied ist ein schlichtes Tonbild, das der Symphonie Nr. 6 nahe kommt.
Nro 3. Scène lyrique (Lyyrinen kohtaus) (Andante-Vivace). Diese lyrische Szene erreicht den violinistisch-virtuosen Umfang der Symphonie Nr. 6 in ihrer polkaartig beweglichen Vivace-Periode.
Nr. 4. Humoresque (Humoreski) (Commodo). Dieses Stück könnte eine Mazurka für Violine sein.
Nr. 5. Scène romantique (Romanttinen kohtaus) (Moderato assai). Die romantische Szene ist „vielleicht das vollkommenste Stück dieses Opus“ (Tawaststjerna), „eine der schönsten Perlen der Klavierproduktion“ von Sibelius (Heinonen). In diesem Stück ist der Zauber der Novelletten von Schumann zu hören, gewürzt mit Harmonien à la Fauré.
Fünf charakteristische Impressionen (Viisi karakteristista impressiota) op. 103 (1923-24)
Diese Suite bietet die massivste und orchestralste Klaviermusik von Sibelius. Sie erinnert an die Symphonie Nr. 7.
Nr. 1. Die Dorfkirche (Kyläkirkko) (Largo). Die Dorfkirche repräsentiert den späten „olympischen“ Stil von Sibelius. Das Werk basiert auf dem damals unbekannten Andante festivo (1922), das Sibelius für ein Streichquartett komponiert hatte. Gleichzeitig ist etwas von der Größe der Symphonie Nr. 7 zu spüren. Alle drei Werke sind in C-Dur. Die Kompositionstechnik zeigt auch Ähnlichkeit mit den Präludien von Debussy, vor allem in der Arpeggio-Periode.
Nr. 2. Der Spielmann (Soittoniekka) (Con moto). Dieses ist ein unbefangenes und frohsinniges Stück, das vielleicht mit dem Musizieren mit Volksmusikern zu tun hat, was Sibelius auch noch nach dem Umzug nach Järvenpää praktizierte.
Nr. 3. Der Ruderer (Soutaja) (Allegretto). Die Diatonik in C-Dur in diesem Stück weist auch auf die Symphonie Nr. 7.
Nr. 4. Der Sturm (Myrsky) (Allegretto molto). Dieses Stück hat vielleicht eine Verbindung mit der Bühnenmusik Der Sturm von Shakespeare, die allerdings zu der Zeit noch nicht komponiert worden war.
Nr. 5. In betrübter Stimmung (Murheisena) (Moderato). Ein miniaturförmiger Trauermarsch, der an Mahler erinnert.
Fünf Skizzen für Klavier (Viisi luonnosta) op. 114 (1929)
Das letzte Opus von Sibelius für Klavier ist ein meisterhafter Abschied von dem treuen Instrument, in dem Sibelius dennoch neue Dimensionen zu finden lernte und das er letzten Endes auf ähnliche Weise wie seine Orchesterwerke zu klingen brachte. Diese fünf tiefen, pantheistischen Naturimpressionen zeigen auch den späten Stil von Sibelius am reinsten. Deren auf Tonhöhe bezogene, tonal-modalische Organisation ist stellenweise revolutionär und bietet eine bedeutende Alternative für den chromatischen Kompositionsstil vom Anfang des 20. Jahrhunderts, der zur Atonalität führte.
Nach Meinung des Musikwissenschaftlers und Pianisten Joseph Kon aus Petrosawodsk enthalten die Skizzen „tonale und harmonische Innovationen“ und „legen im Denken des Komponisten solche Bestrebungen offen, die überraschenderweise Sibelius als einen Komponisten zeigen, der Skrjabin und Bartók ähnelt“. Damit meint Kon die neuartige Interpretation der Intervalle und die sibelianischen außergewöhnlichen Ausbrüche. Außerdem prägen zwei überlappende Pentachorde, die Sibelius in seiner Probevorlesung (1896) vorstellte und die daraus entstehende höhere Terzstruktur die Werke. Leider wurde die Suite erst 1973 veröffentlicht und ist deshalb nicht besonders bekannt. Die Verständlichkeit der Musik leidet unter vielen Druckfehlern, die durch übereilte und oberflächliche Redaktion entstanden waren.
Nr. 1. Landschaft (Maisema) (Andantino). Die Zartheit des Stückes ist durch einfache Melodienmotive, durch ihre Terztransponierungen sowie durch harfenartige Arpeggien entstanden. Der von Sibelius geliebte Nonenakkord erscheint ab und zu und sein Auftreten mit B-Dominante, verschönert mit minimalistischer Arpeggiofiguration, führt das Stück zum Es-ionisch-durischen Finale.
Nr. 2. Winterszene (Talvikuva) (Allegretto). Der Wechsel des A-Dur/ionischen und a-äolisch-ionischen Modus und der mit ihnen verbundenen zwei unterschiedlichen Musiken macht aus dem Satz eine Kombination, die gleichzeitig herzerweichend und spritzig, lustig und traurig sein kann.
Nr. 3. Waldsee (Metsälampi) (Con moto). Dieses ist ein Stück, das auf modaler Tonleiterimprovisation (Modus in D-Dur mit dem unteren h-Terz) und auf dem aus hohem Terzstapel entstehenden, zentralen Akkord (h-d-f-a-c-e-g) und auf dessen Variationen basiert. Hier ist Sibelius’ Organisation der Tonhöhe Weltklasse seiner Zeit. Hier ist Sibelius’ musikalisches Denken am erfindungsreichsten zu hören. Die Komposition könnte aufgrund der gewählten Kompositionstechnik ewig fortdauern.
Nr. 4. Lied im Walde (Metsälaulu). Das Stück ist wie ein endloses, von der Ewigkeit des Waldes erzählendes Lied, das auf der sibelianischen Feldtechnik beruht, auf der Verbreitung des zentralen Akkords. Dieses Mal beinhaltet der zentrale Akkord h-dis-f-a-c/cisis zwei Tritonus (h-f, dis-a) sowie zwei alternative Nonen (c/cisis). Das Ergebnis ist eine moderne faszinierende Klangvision.
Nr. 5. Frühlingsvision (Kevätnäky). Eine schnell vorbeirasende Vision, in der das E-Dur mit mixolydischen und ionisch-äolischen Zügen und mit dem ais-Tritonus modifiziert wird. Sibelius’ modale Technik ist flexibel und voll von Überraschungen.
Fassungen für Klavier aus Werken für Orchester
Sibelius’ anspruchsvolles Klavierspiel und seine Vertrautheit mit dem Instrument werden in seinen vielen Arrangements für Klavier aus eigenen Orchesterwerken sowie aus den finnischen Volksliedern sichtbar. Nach Erik T. Tawaststjerna „sind einige Arrangements von Sibelius äußerst eindrucksvolle Konzertstücke“ (1990). Besonders zweckmäßig, gelungen und viel gespielt sind die Klavierfassungen für Finlandia op. 26 (1900) und Valse triste op. 44, Nr. 1 (1904). Jeder Einwohner von Helsinki kennt auf alle Fälle die Glockenmelodie der Kallio-Kirche, die mit dem Namen Die Glockenmelodie in der Kirche zu Berghäll (Kellosävel Kallion kirkossa) op. 65b (1912) veröffentlicht wurde. Das Klavierarrangement daraus ist zwar leicht, aber eindrucksvoll. Die Arrangements der drei sonnigen Stücke (op. 96, 1919-1921) Valse lyrique, Autrefois, Valse chevaleresque sind ausgezeichnete Zugabenummern in Konzerten.
Sechs finnische Volksweisen (Suomalaisia kansanlauluja pianolle sovitettuina) (1902–1903)
Sibelius benutzte in seiner „ernsteren“ Musik kaum finnische Volkslieder so, dass sie als solche erkennbar wären, obwohl das Hauptthema des Eingangssatzes von Kullervo mit der westfinnischen Melodik verglichen worden ist und Sibelius ab dem zweiten Satz von Kullervo karelische Melodien als Teil seiner Tonsprache durch seine ganze Produktion verwendete. So sind die sechs Arrangements der finnischen Volkslieder eine desto wichtigere Klaviersammlung, besonders weil Sibelius 1896 in seiner akademischen Probevorlesung „Einige Gesichtspunkte zur Volksmusik und zu deren Einfluss auf die Tonkunst“ öffentlich zugestanden hatte, dass die Melodik und Modalität des Volkslieds und Runengesangs Einfluss auf seine eigenen Harmonisierungsprinzipien hatte.
In seinen Arrangements für Volkslieder stellt Sibelius seine Kompositionstechnik anschaulich vor und stimmt Melodien abweichend vom romantischen Stil. Er meidet die Dominante und traditionelle Akkordfunktionen, betont die Subdominante anstatt der Tonika und schafft eine eigenartige Vieldeutigkeit dadurch, dass er den Grundton des Werkes erst am Schluss des Stückes offenlegt.
Nr. 1. Mein Liebchen (Minun kultani) (Allegretto). Eine einfache Melodie, stellenweise ohne Begleitung, die in Oktaven verdoppelt werden kann und deren Akkordbegleitung in paralleler Bewegung fortschreitet. E-Ton im Bass und Verwendung der h-äolisch-ionischen Tonleiter (6. und 7. Ton sind in aufwärts- und in abwärts-Bewegung dieselben: gis und ais) schaffen reizende Farbe für das h-zentrierte Stück.
Nr. 2. Von Herzen liebe ich dich (Sydämestäni rakastan) (Andante). Dieses ist das vereinfachteste Arrangement der Sammlung, in dem der h-Orgelpunkt und der dorische cis-Ton eine schöne stille Stimmung zustande bringen, bevor der e-Schlusston erreicht wird.
Nr. 3. Der Abend kommt (Ilta tulee, ehtoo joutuu) (Andantino). Das Stück ist mit dem Versetzungszeichen cis-Moll/E-Dur ausgestattet und betont wechselweise die A- und E-Zentren. 1/16-Ostinato cis-dis klingt wie Kantele, obwohl das Finale die überraschende fis-Zentrierung der Komposition enthüllt. Es ist eines der gelungensten einzelnen Klavierstücke von Sibelius, was Textur und modale Vieldeutigkeit angeht.
Nr. 4. Also spielt die Maid, die Schöne, auf der Laute (Tuopa tyttö, kaunis tyttö kanteletta soittaa) (Moderato). Dieses Lied ist der virtuoseste Teil der Suite, in dem die sich wiederholenden Arpeggien eine Kantele-artige Dimension präsentieren und die Arpeggien in C- und F-Dur (mit zusätzlichen Noten) mit beiden Händen weisen auf die pianistische Zymbal-Technik hin, die Liszt als erster benutzte. Die Harmonisierung und die modifizierten Noten des Stückes weisen auf unterschiedliche Richtungen hin, obwohl der starke C-Akkord den Schluss für das F-Dur antizipiert.
Nr. 5. Brudermörder (Velisurmaaja) (Andante con moto). Es ist das modernste Stück in der Sammlung, das wegen seiner spannenden Tritonus-Chromatik (his contra fis im Bass) mit der Musik von Bartók verglichen worden ist. Die auf cis basierende Melodie, die mit den parallelen Akkorden der cis-äolisch-ionischen Tonleiter entsprechend gestimmt ist, bekommt zum Schluss den fis-Ton als sein Zentrum.
Nr. 6. Hochzeitserinnerung (Häämuistelma) (Moderato). Hier haben wir eine herzerweichende Melodie in A-Dur, die as-ionisch gestimmt ist und die wieder mit dem eine Quinte tieferen des-Vierklang flirtet.
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